Grüne wollen Probleme umdribbeln

Grünen tagen in Schalke zum Thema Arbeit und drücken sich und Joschka Fischer die Daumen für den Visa-Ausschuss

SCHALKE taz ■ Fast alles ist wie immer, auf dem kleinen Parteitag der Grünen. Joschka Fischer, der vielbeschäftigte Außenminister, kommt als Letzter. Im VIP-Raum der Schalker Fußball-Arena, wo sich die Funktionäre der Regierungspartei versammelt haben, redet die Vorsitzende Claudia Roth bereits gewohnt emotional über „eine Realität, die uns bedrückt“.

Nein, Roth meint nicht das 0:3 des Gastgebers FC Schalke, der ausgerechnet an diesem Tag seine Siegesserie abbricht. Die Nachricht von der Auswärtsniederlage beim Spiel in Stuttgart kommt erst später – und lässt die nordrhein-westfälischen Grünen-Minister, die sich Schalke-Schals umgehängt haben, wie Verlierer aussehen.

Was Roth meint, ist die Arbeitslosigkeit, die hier in Gelsenkirchen mit 26 Prozent besonders hoch ist. Sechs Wochen vor der NRW-Wahl wollen die Grünen ihr Image als Partei der besserverdienenden Ökofuzzis korrigieren. Die Überwindung der Jobmisere, sagt Roth, sei „ein Herzensanliegen für uns Grüne“. Als sie erklären will, dass auch urgrüne Anliegen wie Rußfilter Arbeitsplätze schaffen, muss Roth innehalten – Fischer erscheint. „Wir freuen uns, dass du da bist“, sagt Roth und es klingt, als müsste sie es betonen.

Die Zeiten, in denen allein Fischers Anwesenheit grüne Erfolge illustrierte, sind vorbei. Inzwischen ist es vielmehr so, dass er die Wahlkampfstrategie durcheinander bringt. Nur über den Einklang von Umweltschutz und Arbeit zu referieren, geht mitten in Fischers Visa-Affäre nicht. Wohl oder übel muss auch Roth sein Hauptproblem ansprechen. „Wir bedauern das mehr als alle anderen“, sagt sie über Fischers Fehler. „Auch deshalb, weil damit eine weltoffene Visapolitik diskreditiert werden soll.“ Das ist bereits gelungen – aus Angst vor weiteren Vorwürfen hat Rot-Grün längst eine Kehrtwende in der Visa-Politik vollzogen. Bei den Verhandlungen in der EU über Reiseerleichterungen für Osteuropäer geben sich die früher übereifrigen Deutschen mittlerweile als Blockierer.

Doch darüber wird auf dem Grünen-Parteitag nicht geredet. Auch Fischer tut so, als könnten die Grünen trotz seiner Fehler, über die er sich selbst maßlos aufrege, in ihrer Einwanderungspolitik weitermachen wie bisher. Mit der Arbeitslosigkeit hätten die Visa-Missstände schließlich nichts zu tun und außerdem seien sie längst behoben. „Es muss gereist werden können“, sagt Fischer. Die Grünen seien immer eine Partei der Weltoffenheit gewesen und müssten es auch bleiben. Der Union wirft er vor, sie wolle eine „Zeitgeistverschiebung“ und da müsse man „dagegenhalten“.

Den Delegierten reicht das. So kämpferisch habe man Fischer lange nicht erlebt, sagen viele. Sie schöpfen daraus Mut, dass er den Auftritt im Untersuchungsausschuss am 25. April heil übersteht. Was andernfalls passiert, will lieber niemand überlegen. Aber allen ist klar: Grüne Konzepte für Umweltschutz und Arbeit würden dann wohl nicht mehr helfen. LUKAS WALLRAFF