Ein Gespenst namens Ceauşescu

NEUE WELLE „Police, adjective“ von Corneliu Porumboiu ist ein weiterer Ausweis der Klasse des rumänischen Autorenkinos. Der Film bildet die Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte anhand eines Drogendelikts ab

„Police, adjective“ schildert Ermittlungen als Aneinanderreihung frustrierender Büroroutinen

VON ANDREAS BUSCHE

Totalitäre Strukturen erfordern spezifische Improvisations- und Überlebenstechniken für den Alltag. Das ist selten eine Frage individueller Freiheit, sondern schlicht ein Gebot der Vernunft. Jede (auch freiheitliche) Bürokratie stellt eine totalitäre Struktur dar. In ihr sind Reglementierungen und Verhaltensnormen festgeschrieben, und sie denkt das Gemeinwesen nicht vom Individuum, sondern stets von der Sache her, als Sachzwang. Ihrem Wesen nach ist eine Bürokratie nicht am Menschen ausgerichtet; das geschriebene Wort hat alleingültige Autorität. Und je absoluter dieses System aufgestellt ist, desto mehr ist der Einzelne gezwungen, sich mit den Widersprüchen, die sich aus dem Spannungsverhätnis von offizieller Sprachregelung und persönlicher Verwirklichung ergeben, zu arrangieren. Hierzu muss er zunächst Chiffren entwickeln.

Eigene Identität

Das rumänische Kino nimmt im europäischen Autorenfilm der letzten Jahre eine Sonderstellung ein, weil es selbst den Übergang von einem totalitären (und damit staatstragenden) System zu einer offenen, multilateralen (sprich: marktwirtschaftlich ausgerichteten) Filmindustrie vollziehen musste. Spuren dieses Wandels sind in den Filmen noch deutlich sichtbar. Die rumänische Filmindustrie hat knapp 15 Jahre benötigt, um zu einer eigenen Identität zu finden.

Zieht man die europäische Außenwahrnehmung als Maßstab heran, datiert das Jahr 2005 den Nullpunkt des rumänischen Kinos. Hier begann ein Phänomen konkrete Formen anzunehmen, das seit einigen Jahren unter dem Begriff „Neue Rumänische Welle“ firmiert – eine Beschreibung, die implizit eine gemeinsame Idee unter den Filmemachern voraussetzt. Dass das Rumänien in den Filmen von Cristi Puiu („Der Tod des Herrn Lazarescu“, 2005), Corneliu Porumboiu („12:08 Östlich von Bukarest“, 2006), Cristian Mungiu („4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“, 2007) und Cristian Nemescu („California Dreamin‘“, 2007) immer noch so aussieht, als hätte sich seit dem Sturz Ceauşescus kaum etwas verändert, ist wohl die frappierendste Beobachtung. Doch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist noch nicht abgeschlossen.

In „12:08 Östlich von Bukarest“, dem Film, der Rumänien auf die Karte des Kinos setzte, wurde noch einmal der Mythos der Revolution am Beispiel eines rumänischen Dorfes verhandelt, das am Weltgeschehen ausnahmsweise nicht bloß vor dem Fernseher teilhaben möchte. Die Spitzfindigkeit, mit der hier der Tatbestand eines Umsturzes verhandelt wurde, warf bereits ein Licht auf den pedantischen Charakter des postkommunistischen Landes, der den politischen Wandel unbeschadet überdauert hat. Gleichzeitig klang eine stille Skepsis darüber an, ob die Rumänen mit ihrer neuen Freiheit überhaupt etwas Sinnvolles anzufangen wissen. Revolution, so das trockene Fazit von Porumboius Komödie, ist immer auch eine Frage des richtigen Timings. Sein zweiter Film „Police, adjective“ spielt die Befindlichkeiten des rumänischen Zwangscharakters nun konsequent weiter durch.

Es geht um eine Bagatelle. Ein junger Polizist soll einen Schüler des Drogenhandels überführen. Nach einer Woche der Observierung kommt er zu dem Schluss, dass der Junge allein für den Eigenverbrauch einkauft. Das Gesetz aber kennt keine Milde. Sieben Jahre Gefängnis drohen dem Minderjährigen im Falle einer Verurteilung. Und weil der Polizist dessen Leben nicht auf dem Gewissen haben möchte, beginnt er dieselben bürokratischen Richtlinien zu beugen, die eine derart drakonische Strafe vorsehen. Um Zeit zu gewinnen, bis Rumänien der EU beigetreten ist (in deren Rechtsraum eine laxere Drogenpolitik praktiziert wird). Hierzu wählt er zwei Methoden, die auch Porumboiu als dialektische Werkzeuge dienen: das geschriebene Wort und die Taktik der Verzögerung. Das Spiel auf Zeit.

„Police, adjective“ beschreibt den unauflösbaren Widerspruch von offizieller Sprachregelung und persönlichem Rechtsempfinden als kafkaeske Tragödie. Der Polizist Cristi (Dragos Bucur, ein geläufiger Name im neuen rumänischen Kino) sieht sich ohnmächtig mit einem überholten Staatsapparat konfrontiert, dem er lediglich seine Straßenschläue entgegenzusetzen hat. Immer wieder entzieht er sich dem Einflussbereich seiner Vorgesetzten. Ganz konkret, indem er sich während der Arbeitszeit mit der Observierung des Schülers und dessen Freunden aufhält. Vor allem aber hält er sich seinen Chef mit dem einzigen Mittel vom Leib, das ihm der bürokratische Apparat zur Hand gibt: seinen täglichen Berichten, in deren gleichförmiger, streng regulierter Sprache bereits die buchstäbliche Gewalt der Institution durchscheint. Die Texte, die Cristi handschriftlich verfasst und die Porumboiu wiederholt mit stoischer Ruhe Zeile für Zeile abfilmt, sind in ihren peniblen Formulierungen transparent bis zur totalen Redundanz. Sie beschreiben, ohne wirklich etwas zu erzählen – außer von der Hilflosigkeit Cristis.

Das rumänische Kino hat Mittel und Wege gefunden, die systemimmanenten Widersprüche schmerzfrei zu verarbeiten. Diese Codes verbinden Filmemacher wie Porumboiu und Puiu, in deren harschen Sozialrealismus immer auch eine trotzige Lakonie zu erkennen ist. Wenn man so will, ist sie ein Markenzeichen des neuen rumänischen Kinos und hält die bürokratische Wirklichkeit auf Distanz. Selbst wenn die Geschichten, wie im Falle des von Mungiu produzierten Omnibusfilms „Tales from the Golden Age“ (2009) bereits aus einer weit zurückliegenden Vergangenheit stammen. In diesem sehr osteuropäischen Humor kommt eine moralische Unerschütterlichkeit zum Ausdruck, die mit dem amerikanischen Begriff deadpan allenfalls das Gestische gemein hat. Im neuen rumänischen Kino wird es zu so etwas wie einer Überlebenstechnik.

Mittel der Übertragung

Das weitaus zwingendere Mittel der Übertragung, weil darin auf eine abseits institutioneller Parameter existierende äußere Wirklichkeit Bezug genommen wird, ist die Plansequenz. „Police, adjective“ besteht fast ausschließlich aus solchen langen, sorgfältig konstruierten Einstellungen, die die rumänische Gesellschaft auch räumlich vermessen. Porumboiu schildert die Polizeiarbeit als eine Aneinanderreihung frustrierender Routinen; minutenlang begleitet die Kamera Cristi bei der Verfolgung seiner Überwachungsobjekte. Die Arbeit erweist sich als ebenso sinnentleert wie die anschließenden Rapporte. Der prozessuale Charakter polizeilicher Ermittlungen, in dem sich in einer US-TV-Serie wie „The Wire“ auch die Entscheidungsprozesse der großen Politik widerspiegeln, wird in „Police, adjective“ durch die Ohnmacht seines Protagonisten unterminiert. Bei Porumboiu dominieren die Institutionen – top-down. Bezeichnend wird dies im „Showdown“ von „Police, adjective“, wenn Cristis Vorgesetzter ihn in einer fast 20-minütigen Einstellung zwingt, seine persönlichen Wertevorstellungen an den Definitionen im Wörterbuch abzugleichen. Es ist ein Duell, in dem der Einzelne nur verlieren kann.

Das rumänische Kino befindet sich also noch immer im Rückgriff auf die eigene Geschichte, in der die totale Institution Staat das öffentliche Leben strukturierte. Andrei Ujica zum Beispiel sucht in „Die Autobiografie des Nicolae Ceauşescu“ (2009) mithilfe von Archivbildern nach Bruchstellen im Personenkult um Ceauşescu. Der scheint auch durch „Police, adjective“ zu spuken, als müsse sich das rumänische Kino weiter der eigenen Freiheit vergewissern.

■ „Police, adjective“. Regie: Corneliu Porumboiu. Mit Dragos Bucur, Vlad Ivanov, Irina Saulescu u. a. Rumänien 2009, 113 Min.