Schluss jetzt mit dem Gejammer, hier kommen Toni Kater und Martin Goldenbaum

Der wehleidige junge Mann hat Hochkonjunktur dieser Tage. Von Bendzko, Tim, bis Prosa, Max: Männliches Gejammer auf allen Kanälen. Doch es gibt löbliche Ausnahmen in diesem allgemeinen Trend zum Trübsinn, zwei sollen hier vorgestellt werden: Ein Sänger, der sich noch traut, eine Gitarre zu verstärken. Und: eine Frau.

Auf den ersten Blick passt Martin Goldenbaum allerdings nicht genau ins Beuteschema: Er ist mit 33 Jahren eigentlich schon zu alt und hat dank einer abwechslungsreichen Biografie womöglich schon zu viel Lebenserfahrung zu verarbeiten, um sich allzu effektiv selbst zu bedauern. Der ehemalige KFZ-Mechaniker, Bootsfahrlehrer, Punkrocker und Mecklenburger kann aber genauso gefühlig sein wie die jüngere Konkurrenz. Mitteilsam singt er vom „Ort, wo meine Seele baumelt“, oder auch vom „Ort, wo die Liebe wohnt“. Er stellt fest, „es ist so schön, so frei zu sein“, und wundert sich schon mal, „wie schnell man von dieser Welt verschwinden kann“. Er ist oft verliebt und noch öfter auf der Suche, während die Geigen elegisch wehklagen und das Flügelhorn melancholisch mosert.

Doch bevor er mitsamt seiner Band endgültig im Kitsch versinkt, bläst Goldenbaum gelegentlich in seine Mundharmonika und bringt immer wieder seine Gitarre in Stellung. Die schlägt er kraftvoll an, weist die Streicher damit in die Schranken und rettet die ganze Unternehmung vor dem Absturz. Auch das so entstehende Spiel mit den Laut-leise-Kontrasten birgt natürlich sein Klischeepotenzial, ist aber vor allem im Vergleich zu der vornehmlich akustisch vor sich hin klimpernden Konkurrenz arg erfrischend. Außerdem sind Goldenbaums Texte mitunter gar nicht so sensibel, sondern auch mal handfest, trauen sich ein „Arschloch“ und haben dann sogar eine Empfehlung für die Jammerlappen im Angebot: „Doch wenn du heulst“, singt Goldenbaum, „lassen sie dich zurück.“

Auch Toni Kater ist mit 34 schon etwas zu alt, um als junger Mann durchzugehen. Vor allem aber ist sie eine Frau. Vielleicht schützt das automatisch vor Selbstmitleid, das aber durchaus angebracht wäre, denn seit Anett Ecklebe, wie Toni Kater eigentlich heißt, im Jahre 2004 mit „Wo bist du?“ unter der Mentorschaft von 2raumwohnung einen kleinen Hit landete, ist ihre Karriere eher steckengeblieben. Mit „Sie fiel vom Himmel“ wagt sie nun einen Neuanfang, der einerseits auf die wehmütige Grundstimmung ihrer früheren Aufnahmen nicht verzichtet, aber dafür den nie so recht gelungenen Crossover auf den Dancefloor endlich aufgibt. Die Elektronik ist zwar nicht ganz verschwunden, aber sie konzentriert sich ganz auf die Unterstützung des Liedes. So kann es kommen, dass Toni Kater so etwas wie ein Electro-Chanson entwickelt, das in ihre Wahlheimat Berlin passt, und mitunter singt sie sogar Französisch. Das funktioniert erstaunlich gut, vor allem in „Krass“, einem fast schon militärisch voranrollenden Lied, das man sich auch von Hildegard Knef hätte vorstellen können. Und die hätte diesen Memmen sicherlich schon längst den Marsch geblasen. THOMAS WINKLER

■ Martin Goldenbaum: „Anker“ (Reptiphon/Broken Silence), 13./14. 1., mit Götz Widmann im SO 36

■ Toni Kater: „Sie fiel vom Himmel“ (Solaris Empire/Broken Silence), Record Release, 19. 1., im Lido