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Archiv-Artikel

„Da ziehe ich die Arschkarte“

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di will Lkw-Fahrern helfen, sich gegen schlechter werdende Arbeitsbedingungen zu wehren. Doch viele Trucker haben Angst um ihren Job und wollen deshalb keine Betriebsräte gründen

Jürgen steuert seinen Lkw auf den Seitenstreifen vor den kleinen Container, hält mit quietschenden Bremsen und schwingt sich aus dem Truck. „Ich habe da mal ‘ne Frage. Aber schreiben Sie nicht meinen Namen, dann kann ich mir bei meinem Chef gleich die Papiere abholen“, sagt der 58-Jährige. Er schnauft kurz durch und setzt sich an den Tisch vor dem Container der Gewerkschaft ver.di, der vor dem Güterverkehrszentrum (GVZ) steht. Dort berät Gewerkschaftssekretär Wolfgang Evers Menschen wie Jürgen, die Probleme in ihrem Job haben. „Das Geschäft in der Logistik- und Speditionsbranche ist hart, der Konkurrenzkampf groß, manche Unternehmer spielen wilde Sau“, sagt Evers. Leidtragende seien die Beschäftigten.

„Unser Chef führt sich auf wie ein Diktator. Das kann doch nicht angehen“, sagt Brummi-Fahrer Jürgen, der seit 32 Jahren hinterm Lenkrad sitzt. „Bei uns bleiben Urlaubsanträge liegen. Dass das Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen ist, erfahren wir erst, wenn wir den Lohnstreifen in der Hand halten“, erzählt der Lkw-Fahrer. „Das ist verboten“, sagt Wolfgang Evers.

Rund 75 Leute arbeiten in Jürgens Firma. In der Gewerkschaft ist kein einziger. Es gebe Fahrersprecher, doch das seien Pressesprecher des Chefs und nicht der Angestellten. „Keiner kriegt das Maul auf. Das bin immer nur ich, da ziehe ich natürlich die Arschkarte“, sagt Jürgen und dreht seinen Lkw-Schlüssel in der Hand. „Das höre ich häufiger“, meint Evers.

Jürgen fühlt sich schikaniert. Lukrative Auslandstouren bekäme er kaum noch, seinen Truck fahre er schon zehn Jahre. Andere Kollegen bekämen nach zwei oder drei Jahren einen neuen Lkw. „Das ersetzt einen vernünftigen Arbeitsvertrag“, sagt Jürgen und blinzelt in die Sonne. Auch in seiner Firma gebe es Kollegen, die Lenkzeiten ignorierten, sich ausnutzen ließen. „Ich mache das nicht. Wenn mein Führerschein weg ist, habe ich keinen Job mehr.“ Seinen Chef interessiere das nicht. „Das gibt es leider immer mehr, der Druck dieser Hardcore-Branche wird auf die Fahrer weitergegeben“, sagt ver.di-Mann Evers.

Jürgen erzählt von seinen Kollegen, deren Ängste er versteht. Sie schluckten, was der Chef vorgebe, hätten Angst um ihren Job. Fahrer gebe es genug. „Muckt einer auf, steht er schnell auf der Straße.“ Jürgen versucht, sich zu wehren. Aber er steht allein, sagt er. Dabei hänge von ihm und seinen Kollegen viel ab. „Fahren wir alle nicht, steht alles still.“ Dennoch seien Streiks unmöglich, denn eine Abstimmung untereinander sei nicht möglich. Irgendwer fahre immer, und sei es die Konkurrenz aus Osteuropa.

„Was muss ich denn machen, wenn ich einen Betriebsrat gründen will?“, fragt Jürgen vorsichtig Wolfgang Evers. Drei Leute seien nötig. Die bildeten einen Wahlvorstand, erklärt ihm der Gewerkschaftssekretär. Dann könne ein Betriebsrat gewählt werden. „Und wann sind die Leute geschützt?“, will Jürgen wissen. „Bis der Wahlvorstand steht, müsst ihr vorsichtig sein und im Hintergrund agieren. Kriegt da einer von der Firmenleitung was mit, findet der schnell einen Grund euch rauszuschmeißen“, sagt Evers und fummelt an einer Infobroschüre herum. Er will Jürgen helfen, doch letztlich brauchen beide aktive und mutige Mitstreiter in der Firma. Evers wirbt unverdrossen für die Betriebsräte. Nur eine Arbeitnehmervertretung im Betrieb könne etwas für die gesamte Belegschaft erreichen.

Jürgen will es versuchen. Er hinterlässt seine Telefonnummer bei Wolfgang Evers, will mit Kollegen sprechen, sie für einen Betriebsrat gewinnen. „Klar riskiere ich was, aber ich bin 58. Viel habe ich nicht mehr zu verlieren“, sagt er und geht wieder zurück zu seinem Lkw. Wie groß seine Hoffnungen sind, einen Betriebsrat zu bilden? Jürgen ist keiner, der sich Illusionen macht: „Ich habe keine Ahnung, ob das klappt...“ kay müller