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Archiv-Artikel

Sind Frauen die Siegerinnen der arabischen Revolution?JA

HOFFNUNG Der Kampf gegen die Diktatoren trug ein weibliches Gesicht. Doch noch ist offen, ob Frauen vom Wandel profitieren werden

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Nawal El Saadawi, 80, ist ägyptische Ärztin, Autorin und Menschenrechtlerin

Ja, natürlich. Immer wenn Frauen an Demonstrationen und Revolutionen teilnehmen, gewinnen sie. Aber wir sollten nicht eine Gruppe besonders hervorheben: Frauen haben genauso gekämpft wie Männer. Hier in Ägypten kämpfen wir gegen das ungerechte System. Frauen sind auf die Straße gegangen, es gab Ärztinnen, die Verletzte versorgt haben, und Hausfrauen, die für die Demonstranten Sandwiches gemacht haben – Frauen und Männer haben zu der Revolution gleichermaßen beigetragen. Wir kämpfen hier nicht nur gegen das politische System. Vielmehr gestalten wir Politik neu, wir verändern die Kultur und das Wertesystem. Beispielsweise hat der Militärrat weibliche Demonstranten auf ihre Jungfräulichkeit getestet. Diese Leute denken, dass Ehre in der Jungfräulichkeit von Frauen besteht. Auch als Frauen zuletzt von der Polizei halbnackt in den Straßen geschlagen wurden, dachten viele Männer aus dem islamischen Spektrum, dass dies unehrenhaft sei. Aber in Wirklichkeit ist es dieses System, das unehrenhaft ist: Junge Leute mit Universitätsabschluss finden keine Jobs. Wir werden kolonisiert von Amerika und Israel, aber wir wollen unabhängig sein und unsere Ehre wiederhaben. Die Ehre der Männer ist wie die Ehre der Frauen, es ist die Ehre des Vaterlands. Die wahre Ehre ist die Revolution selbst. Dafür kämpfen wir.

Nouri Bouzid, 66, lebt in Tunis und arbeitet als Filmemacher und Drehbuchautor

Wenn man unter Sieg versteht: Meinungsfreiheit gewinnen und frei sprechen können – und das ist heute der Fall –, dann sind Frauen Siegerinnen wie das ganze tunesische Volk. Frauen interessieren sich jetzt immer stärker für Politik. Und wie wir wissen, liegt ihr Interesse in der Gleichheit der Rechte, nicht im Islamismus. Es war Bourguiba, der das Personenstandsrecht (Code du Statut Personnel) eingeführt hat, aber dieses kommt ja nicht aus dem Nichts, sondern gründet auf all dem, was in Tunesien in zwei Jahrtausenden geschehen ist. Tunesien hat eine, ich würde fast sagen, „feministische“ Vergangenheit. Es wurde im Laufe seiner Geschichte mehrfach von Frauen regiert. Prinzessin Elyssa (so die Legende) hat Karthago gegründet. Es gab die berberische Kahena, die punische Göttin Tanit. All das hat dazu beigetragen, dass die Gesellschaft in Tunesien sich etwas von der arabischen Welt unterscheidet. Gegenwärtig wird um eine neue Verfassung gerungen. Ich denke, dass der Code du Statut Personnel erhalten bleibt. Die Islamisten werden es nicht wagen, ihn infrage zu stellen. Das ist nicht mehr möglich. Diese Rechte sind fest verankert in den Köpfen der Frauen und vieler Männer. Die Mentalitäten haben sich bei einem großen Teil der Bevölkerung verändert. Und dieser Teil wird kein Zurück akzeptieren. Also, ich bleibe optimistisch.

Rasha Hefzi, 34, ist Unternehmensberaterin und Aktivistin aus Jidda, Saudi-Arabien

Das ist eine schwere Frage. Am Anfang dachten wir: Ja. Denn erstens kam der Arabische Frühling zu einer Zeit, in der Parteien und religiöse Kreise darin übereinstimmten, dass Frauen ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor sind. Auch wenn die konservativen und extremen Parteien gegen Gleichheit und Frauenrechte sind. Zweitens bringen die neuen Medien für Frauen auch neue Möglichkeiten, die sie sehr aktiv nutzen. Und drittens wachsen feministische Bewegungen in allen Ländern. Frauen haben begonnen, leitende Positionen zu übernehmen. Auf der anderen Seite stehen die Ergebnisse noch in den Sternen. Jede Partei kämpft um die Führung in dieser neuen Demokratie. Dabei können Frauenthemen schnell verloren gehen. Trotzdem ist eine glänzende Zukunft möglich – eine neue, auf Geschlechtergleichheit basierende Demokratie. Vielleicht dauert es Jahre, denn es geht nicht nur um politische Rechte. Wir müssen an den sozialen Rechten arbeiten und einen Kulturwandel einleiten, um eine wichtigere Rolle zu spielen.

NEIN

Baho Taha, 34, ist ägyptische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin aus Kairo

Nein, Frauen sind nicht die Gewinner der Revolution. Aber auch die männlichen Rebellen, sind bislang keine Sieger. Noch ist ja nicht klar, ob das Militär nicht doch die Oberhand behalten wird. Ich finde es bizarr, dass westliche Journalisten so gern nach „den Frauen“ fragen. Die Menschen in Ägypten sind wegen der krassen sozialen Ungerechtigkeit auf die Straße gegangen. Die betrifft Männer und Frauen. Der Westen verliert aber ständig den Kampf „Reich gegen Arm“ aus dem Blick und konzentriert sich stattdessen auf die sexuelle Gewalt. Verstehen Sie mich nicht falsch, Frauen werden in Ägypten unterdrückt. Wie sehr sie unterdrückt werden, hängt aber von ihrer sozialen Stellung ab. Unversehrtheit ist hier letztlich eine Geldfrage. Es stimmt auch nicht, dass die Militärs härter gegen Frauen vorgehen: Männer werden erschossen, Frauen fürchterlich verprügelt. Natürlich hat mich das Bild von der niedergeschlagenen Frau mit dem blauen BH schockiert, aber in der gleichen Woche starben 17 Männer.

Fatma Jegham, 38, arbeitet als Kunstlehrerin in einem ärmeren Viertel in Tunis

Ich arbeite seit zwölf Jahren als Kunstlehrerin im Gymnasium der Cité Tadamun, das ist ein Armenviertel von Tunis. Am 18. November habe ich den Klassenraum betreten – es war der erste Unterrichtstag nach den Prüfungen. Zwei Schüler trugen Bärte und Jebbah, ein traditionelles Gewand, wie es die Bärtigen in Kandahar oder Kabul tragen. So etwas sah ich zum ersten Mal in der Schule. Ich habe den Unterricht begonnen, da sagte einer der beiden plötzlich zu mir: „Hör auf damit. Weißt du nicht, dass Bilder im Islam verboten sind? Dieses Fach muss verboten werden.“ Das war völlig überraschend. So was hatte ich noch nie erlebt. Ich habe zu ihm gesagt: „Mein Kleiner, erstens hängt die Frage, ob dieses Fach unterrichtet wird oder nicht, nicht von mir ab. Und zweitens ist dies ein Wahlfach, du musst das nicht belegen. Und außerdem liebt Gott das Schöne. Mit der Kunst kann man die Welt verändern.“ Plötzlich ergriff er einen Tisch und ging auf mich los. Vor dem 14. Januar hatten wir keine Meinungsfreiheit und nur eine Einheitspartei. Aber jetzt gibt es hier Extremisten. Die Frauenrechte werden ignoriert. Die Salafisten prügeln Frauen. Vorher war das nicht so. Insofern hat die Revolution uns nichts gebracht. Für uns Frauen steht die Revolution noch aus. Die Revolution gehört den Islamisten, die die kämpferische tunesische Frau umbringen wollen. Sie sagen, wir Künstlerinnen sind Atheisten und Nutten. Die Revolution wendet sich jetzt gegen die Frauen.

Mohammed Moulessehoul, 57, als Autor unter dem Namen Yasmina Khadra bekannt

Aufgrund der Erfahrung, die ich in meiner Heimat Algerien gemacht habe, bin ich überzeugt, dass der Kampf der Frau bei weitem nicht gewonnen ist. Während unseres Kriegs gegen die Islamisten hatten die Frauen uns im Kampf für die Freiheit gelehrt, uns wie Männer aufzuführen. Was haben wir von ihrem Engagement und ihren Opfern gelernt? Nicht viel. Die Frau bleibt eingesperrt in ihrer Unterordnung, was alle bestürzt, die überzeugt sind, dass unsere Nationen wegen dieser Benachteiligung der Frau rückständig sind. Lockt nun der Arabische Frühling die mutigen Frauen in die Politik zurück? Die Chancen sind gering oder sogar hypothetisch. Schon verheißen Triumphalisten islamistischer Parteien der Frau eine physische Einkerkerung (obligatorische Verschleierung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der männlichen Kontakte) sowie eine Einschränkung der Bürgerrechte. Es ist an den Männern, die Frauen in ihren legitimen Forderungen zu unterstützen, ohne die keine heilsame Revolution Hoffnung und Fortschritt schaffen kann. Solange die Frau ausgeschlossen ist, kann keine Reform verhindern, dass Jugend und Zukunft, die Fundamente einer modernen Gesellschaft, bedroht sind.