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Archiv-Artikel

Das programmierte Klassenzimmer

Digitale Schule Die Londoner Messe für Bildungstechnologie liefert die neueste Lernelektronik. Die Hersteller drängen auf den hart umkämpften Markt, teils mit fragwürdigen Methoden

AUS LONDON CHRISTIAN FÜLLER

Als Großbritanniens Bildungsminister Michael Gove sprach, wusste man: Die neue Zeit ist in den Kabinetten angekommen. Die Schüler seien gelangweilt von Word und Excel, sagte Gove. Und er sprach das Unaussprechbare über Lehrer aus: Sie machten allzu oft langweiligen Unterricht. Technik sei ihnen fremd. „Ein Lehrer der viktorianischen Zeit würde sich vollkommen zu Hause fühlen, wenn er in ein Klassenzimmer des 21. Jahrhunderts kommt“, sagte Gove. Trotz mancher Whiteboards, wie elektronische Schultafeln im Fachjargon heißen, „steht der Lehrer immer noch vor der Klasse: und redet und fragt und testet“.

Ein Raunen ging durch die Zuhörerschaft auf der Londoner Bett 12, der wichtigsten Konferenzmesse für Bildungstechnologie. Seit wann sind es die Minister selbst, die sich an die Spitze der Hightech-Bewegung für Klassenzimmer stellen? Und Gove machte auch noch Ernst. Der Lehrplan für IT-Medienkunde werde ab sofort für britische Schulen ausgesetzt – weil er zu traditionell ist. Zum Vergleich: Der Präsident der deutschen Kultusministerkonferenz, Bernd Althusmann (CDU), hatte jüngst mehr Medienkunde gefordert. Das Königreich hingegen schafft sie ab, weil der bisherige Lehrplan von der antiquierten Vorstellung ausgeht, man könne die IT-Lern-Technologie in ein Computerlabor einsperren.

Das war die richtige Begleitmusik für die IT-Messe und -Konferenz, die sich speziell an Lehrer, Schulen und Bildungsträger richtet. Auf der Bett 2012 sahen Klassenzimmer wie Multimedia-Center aus: elektronische Tafeln, auf denen bunte Filmchen genau wie komplizierte Berechnungen vorgeführt werden. Tablets, Textbooks in allen Varianten, intelligente Stifte, die das gesprochene Wort aufnehmen, spacige Brillen – und über allem schwebt die Wolke, in der die Lernmaterialien für jeden zugänglich verstaut sind (siehe unten).

Dennoch, die Hightech-Lernmesse war keinen Tag alt, da hatte die Industrie die Nase wieder vorn – selbst vor dem modernistischen Minister Gove. Apple kündigte an, am kommenden Donnerstag in New Yorks Guggenheim-Museum etwas Neues zu Bildung und Schule präsentieren zu wollen. Die New York Times verriet, um was es geht: das Testament des jüngst verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs zu erfüllen – und das Schulbuch neu zu erfinden.

Auch die deutschen Lehrer-Blogger waren elektrisiert: „Sollte Apple die Initiative ergreifen“, schrieb der Frankfurter Vorzeige-Lehrer Torsten Larbig auf seinem Blog herrlarbig.de, „könnte das wie ein Katalysator für die notwendige Veränderung von Schule und Unterricht wirken.“

Komponieren per Tablet

Larbig gehört zu den wenigen Lehrern, die ihren Unterricht bereits mit digitalen Methoden spannend machen. Jüngst ließ er seine Schüler Goethes „Faust“ modern in Raps interpretieren – kollaborativ auf einem Weblog, das die Texte für alle Schüler gegenseitig sichtbar machte. Sein Kollege André Spang, ein anderer Vorreiter des digitalen Lernens, lässt an der Kölner Kaiserin-Augusta-Schule die Schüler über das Tablet Musik komponieren, mischen und produzieren.

Der deutsche Durchschnittslehrer ist davon weit entfernt: Der weiß oft nicht, wie man eine elektronische Tafel auch nur anschaltet, geschweige denn wie man sie bedient. Deswegen fragt nicht nur die pädagogische Beauftragte des Chip-Herstellers Intel, Sabine Huber: „Wofür ist digitales Lernen denn gut? Was haben die Schüler davon?“

Wenn der Computerhersteller Apple etwas anpackt, horchen aber vor allem die Wettbewerber auf. Fachleute erwarten, dass am Donnerstag nicht bloß ein Werbegag präsentiert wird. Es gebe vielmehr bereits Allianzen mit Anbietern, die ihre Texte auf der Buchplattform von Apple bereitstellen. Allerdings, so sagt der Kölner iPad-Lehrer André Spang, muss man sich kein traditionelles Schulbuch auf Elektronisch vorstellen, das da entsteht: „Ein iSchulbuch wäre sicherlich nur der digitale Appetitanreger. In ein elektronisches Buch können auch Filme oder Audiopassagen eingearbeitet werden.“ Erst das wäre attraktiv, so Spang. „Wichtiger ist der Ausstieg, also dass die Schüler vom Buch auf ein Forum oder ein Wiki gelenkt werden, wo sie den Stoff dann selbstständig weiter bearbeiten können.“

Dass Apple in den globalen Bildungsmarkt will, ist klar. Als die Türkei im Sommer einen Auftrag für 15 Millionen Tablet-PCs ausschrieb, gingen der Chiphersteller Intel, der Betriebssystemriese Microsoft und Apple ins Rennen. Die Türkei will alle seine Schüler mit Tablets ausstatten. Bedingung: Die Geräte müssen in der Türkei hergestellt werden.

Der weltweite Bildungsmarkt gilt als riesiges, weitgehend brachliegendes Feld. Alle möglichen Wettbewerber drängen dorthin. So präsentierte etwa Lego erstmals seine neue Marke LegoEducation auf der Londoner Bett. Zwar macht der Spielzeugsteinhersteller nur einen winzigen Teil seines Umsatzes mit Bildung – aber er hat bei Eltern einen exzellenten Ruf als Anbieter intelligenten Spielzeugs.

Bemühte Lehrer

„Die Lehrer haben heutzutage Mühe, die technikaffinen Kinder im Klassenzimmer zu halten“, sagt der Lego-Mann für Europa, Gary Jones. „Mit Lego-Robotern haben sie das Problem, die Kinder aus dem Klassenzimmer wieder rauszubekommen.“ Konsequent bietet Lego nicht ein System für den ganzen Markt, sondern Lösungen für die einzelne Schule: Dort bekommt man Studios mit viel Roboter-Spielzeug, Programmiersprachen und Fortbildung für Lehrer inklusive.Freilich ist der Markt knallhart – und es wird mit teilweise fragwürdigen Methoden gekämpft. So ließ Texas Instruments eine wissenschaftliche Studie für eine perfekte 3-D-Lernwelt erstellen, die sich angeblich in sieben Staaten bewährt hat. Eigens eingeflogene Lehrer verkündeten, die 3-D-Brillen veränderten das Lernen schlagartig. Wer die Studie freilich sehen will, der wartet vergeblich.

Der pädagogische Vorreiter Michael Gove zeigte auf der Bett 2012, dass er nicht nur Britanniens Bildungsminister ist. „Wir, das Britische Königreich, müssen sicherstellen, dass wir aus unseren unglaublichen technischen Möglichkeiten das Beste machen, um der Weltmarktführer in Bildungstechnologie zu werden.“