: „Literarisch – na ja“
DICHTER Eine Tonbild-Schau will im Wall-Saal der Bibliothek „den ganzen Schröder“ zeigen
■ 133 Jahre alt, wurde von Michael Augustin und Walter Weber unter dem Titel „Dichtung ist wie Atemholen“ für Radio Bremen porträtiert.
taz: Welche Bedeutung hat Rudolf Alexander Schröder heute aus Ihrer Sicht?
Walter Weber: Im Vergleich zu der gefeierten Person des öffentlichen Lebens, die Schröder in den 1950ern war, ist er weitgehend vergessen. Und literarisch – na ja. Da stammt er eben aus einer Zeit, die untergegangen ist. Andererseits ist er eine ausgesprochen umfängliche Persönlichkeit, schon zeitlich: Er war Zeitgenosse sowohl für die Menschen der 1960er Jahre als auch für die des späten Kaiserreichs. Entsprechend groß ist die Zahl der Persönlichkeiten, mit denen er zu tun hatte und die deswegen in unserer Sendung vorkommen.
Ist Schröder denn für sich genommen noch bedeutend genug, um in seinem Namen den Bremer Literaturpreis zu verleihen?
Michael Augustin: Auf jeden Fall. In seiner Lebensgeschichte sind zwei Jahrhunderte gespiegelt. Durch ihn gibt es eine Direktverbindung von – sagen wir mal – Hugo von Hofmannthal über Rilke bis hin zu Paul Celan. Ein europäischer und auch ein sehr deutscher Autor – mit allen Gebrochenheiten, die so ein langes Leben in der Zeit mit sich brachte.
Weber: Es gibt zum Beispiel ein sehr langes Gespräch zwischen Schröder und Siegfried Lenz von 1957 über die Übersetzung antiker Texte, Lyrik und einen ausführlichen Lebensrückblick, wobei sie leider die Nazi-Zeit auslassen.
Augustin: Darüber hat Schröder sich ja ohnehin meist nur sehr wolkig geäußert.
Weber: Allerdings stand die NS-Zeit auch nicht allein in unserem Fokus. Unsere Sendung heißt nicht „Schröder und die Nazis“. Das wäre ein Thema für sich. Mit all’ den O-Tönen und der Musik haben wir eine Sendung mit einer gewissen Kulinarik gemacht, kein Tribunal.
Augustin: Es ging uns um den ganzen Schröder. Neu war für uns übrigens seine Homosexualität, von der uns die drei Borchardt-Söhne unabhängig voneinander berichteten. Die könnte auch ein Grund für seinen Umzug nach Bayern gewesen sein – in Schröders Familie gab es den tragischen Fall eines Mannes, der deswegen in den Selbstmord getrieben wurde.
Dann ging es bei Schröders viel zitiertem Umzug ein paar Monate nach dem „Röhm-Putsch“ womöglich weniger um politische Distanzierung als um persönliche Sicherheit?
Augustin: Möglich ist das. Allerdings zog er sich ja anschließend keineswegs komplett aus dem öffentlichen Leben zurück, sondern ließ sich bei verschiedenen Anlässen feiern.
Interview: Henning Bleyl
19 Uhr, Wall-Saal, Stadtbibliothek