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Archiv-Artikel

Links! Verdammt noch mal: Links!

Das legendäre Freiburger Buchhandlungs-Kollektiv Jos Fritz hat fast alles überlebt – nur sich selbst nicht. Nach 30 Jahren dient es wieder als Vorbild

VON DIETRICH ROESCHMANN

In der Spechtpassage ist die Hölle los. „Links! Weiter, weiter, weiter, verdammt noch mal: Links!“ Der Betonmischer kracht in den Bauzaun, es scheppert. Die Idylle der kopfsteingepflasterten Sackgasse in der Nähe des Freiburger Hauptbahnhofs ist zurzeit eine Baustelle. Ein neuer Wohn- und Geschäftsbau entsteht.

Der Unterschied zwischen Idylle und Wirklichkeit ist der Unterschied zwischen Gefühl und Tatsachen, sagt Michael Berger, 67, Historiker in Rente. Er ist Geschäftsführer der Spechtpassage, einem Innenstadt-Areal, auf dem früher mal eine Kohlenhandlung residierte, bevor dann ein paar Linke als Mieter einzogen und schließlich das ganze Gelände inklusive Bausubstanz der Stadt vor der Nase wegkauften. Berger hatte damals das Geld dafür aufgetrieben. Der Jubel in der Szene war groß: Eine City-Immobilie für linke Betriebe, das war abgefahren.

Der einzige Laden, der hier aus frühen Tagen überlebt hat, feiert jetzt 30. Geburtstag: Die Buchhandlung Jos Fritz, logistisches Zentrum der Do-it-yourself-Boheme und der sozialen Bewegungen in Freiburg, die in den 80er-Jahren Politik und Pop zusammenbrachten und in den 90ern dieses seltsam entspannte Lebensgefühl hinterließen, mit dem die Leute bei den letzten Europawahlen zu 36 Prozent für die Grünen abstimmten. Seit 2002 haben sie endlich auch ihren grünen OB.

Heinz Auweder, 54, ist seit 28 Jahren im Laden. Er hat so ziemlich alles miterlebt und Jos Fritz auf fast jeder Demo persönlich repräsentiert. Der Außenminister. Er sagt: Es gibt bei uns ein Regal, an dem könnte man schön die Geschichte des selbst verwalteten Buchhandels erzählen. Es trägt den Titel „Linke Diskussion“ und stand immer direkt am Eingang, unter den Resten eines Wandbilds mit einer Gedichtzeile von Roque Dalton: „ … der Kommunismus wird sein (unter anderem) wie ein Aspirin von der Größe der Sonne“. Für eine Welt ohne Kopfschmerzen, schön gesagt. Irgendwann machte dieses Regal den Neuerscheinungen im Taschenbuch Platz und trat seine Odyssee durch den Laden an. Vorbei an der Belletristik, den Bildbänden, den Hörbüchern. Heute steht es ganz hinten in der Ecke. Es ist kleiner geworden. Viele linke Verlage sind Pleite gegangen, die Auflagen um die Hälfte gesunken in den letzten zehn Jahren, das Interesse für Theorie hat spürbar nachgelassen. Aber das Regal steht. Wie zur Selbstvergewisserung der eigenen Geschichte.

Die Linken in Freiburg kommen schon immer aus der Mitte der Gesellschaft, sagt Berger. Bestes Beispiel: der Buchladen. Gegründet wurde er von zwei Dutzend Uni-Leuten, die jeweils 1.000 Mark gaben. Geldbeschaffer: Berger. Dann kam ein verkrachter Buchhändler aus Marburg mit einem Lkw voller Bücher dazu – und Klaus Theweleit, später bekannt geworden mit seinen Büchern „Männerphantasien“ und „Buch der Könige“. Zur Eröffnung hatte er die Kundenkartei des örtlichen K-Gruppen-Buchladens unterm Arm. Nützliche Beute eines Raubzugs bei der orthodoxen Konkurrenz.

Formal ist Theweleit bis heute Geschäftsführer von Jos Fritz. Nicht, weil der 64-Jährige eine heimliche Ader fürs Ökonomische hätte, sondern „um den Leuten im Laden die Freiheit zu ermöglichen, die nötig ist, um Hierarchien in der Gruppe zu vermeiden. Sie vertrauten einfach darauf, dass ich mich nicht einmische.“ Und das tat er auch nicht. Wenn es etwas zu unterschreiben gab, dann hatte die Gruppe es vorher gemeinsam ausgehandelt. Ohne Abstimmung, im Konsensprinzip. Das gilt bis heute. So sitzen die sieben von Jos Fritz manchmal bis elf Uhr abends zwischen den Bücherregalen und regeln das Geschäft auf ihre Weise. Reden übers Sortiment, kämpfen um die besten Plätze für abseitige Titel im Eingangsbereich oder um die Spätschicht bei Lesungen.

Anfang der 80er-Jahre gab es in Deutschland rund 60 Buchläden nach diesem Modell: Linkes Programm, kollektive Betriebsstruktur, enge Anbindung an die Szene. Inzwischen sind es nur noch zehn. Maximal, sagt Edwin Gantert, Ex-Jos-Fritz-Buchhändler und Mitgesellschafter der ersten Stunde. Gantert reist heute als Vertreter für Kleinverlage durch die Republik und bekommt viel mit. Überlebt haben nur die, sagt er, die es geschafft haben, wirtschaftlich zu arbeiten. Einige probierten die Öffnung – oder die Konfrontation mit den Stammkunden, wie man’s nimmt. Belletristik, Kunst, Wanderführer, die ganze Bandbreite eines erweiterten Begriffs von Kundenbedürfnis: Das muss nicht unbedingt gut gehen. Jede Punk-Band, die bei einem Major Label unterschreibt, verliert einen Teil ihrer Fans. It’s a Family Affair. Warum sollte das bei einem Buchladen anders sein, der sich über Glaubwürdigkeit definiert?

Sich zu verändern, sagt Auweder, heißt nicht, sich zu vergessen. Inzwischen dankt ihnen das vor allem die junge Kundschaft, die immer öfter auf der Suche nach Büchern zur Globalisierung, zu linker Medientheorie oder libertären Netzwerken in den Laden findet.

In Wirtschaftsmagazinen werden Betriebe wie Jos Fritz seit einiger Zeit gerne als Rolemodels für die Zukunft des Mittelstands vorgestellt: flache Hierarchien, wenig Bürokratie, kurze Wege, feinmaschige Kommunikation. Das sorgt für ein angenehmes Klima, in dem Identität und Motivation prächtig gedeihen. Wenn dann auch noch die gemeinsame Geschichte eint, ist eigentlich alles perfekt. Aber sagen wir besser: fast perfekt. Denn die Sache hat einen Haken: Jos Fritz wirft keinen Profit ab. Zumindest keinen, der sich in Zahlen messen lässt. Es ist ein 0-zu-0-Geschäft. Bei 9 Euro netto Einheitsstundenlohn.

Man gewöhnt sich dran, sagt Tina Bolg, 41. Sie ist die Zweitjüngste im Laden und sagt lieber „Team“ als Kollektiv: „Wir sind ein gutes Team.“ Woran man sich allerdings nicht gewöhnt, ist, dass das tatsächlich funktioniert. Dass man von sozialem Mehrwert leben kann. Dass einem die Kultur, die hier blüht und die der eigentliche Profit des Ladens ist, wichtiger wird als das wirtschaftliche Wachstum. Das ist wirklich einzigartig. Die Kultur: das ist der Umgang untereinander. Die gegenseitige Anerkennung der Arbeit, die man leistet. Der enge Draht zu den Kunden. Das Selbstentscheiden. Man kann es ruhig so altmodisch sagen: unentfremdet.

Die Kultur, das ist aber auch die hohe Aufmerksamkeit für Kleinverlage, die immer weiter aus den Regalen verdrängt werden, da trotz der zunehmenden Verkaufsfläche im Buchhandel die Anzahl der angebotenen Titel dramatisch zurückgegangen ist. Viele Großbuchhändler verkaufen ihre Präsentationsflächen in der ersten Reihe heute wie Anzeigenplätze an die Verlage. Bei Jos Fritz liegen dort die Bücher vom Verbrecher-Verlag, von Ventil, unrast oder tropen. Und auch das gehört zur Kultur: dass ein Buch wie Klaus Schönebergers „Vabanque – Theorie und Praxis des Bankraubs“ über die Institutsauslieferung des Ladens seinen Weg in die Regale der Uni- Bibliothek findet.

Wenn man es genau besieht, ist der Buchladen ein echtes Freiburg-Phänomen. Wie der SC. Oder der grüne OB. Sagt Gerhard Frey, fast von Anfang an dabei, und wenn es einen Chef bei Jos Fritz gäbe, dann wäre es Frey. „Unser Laden steht für ein Klima in der Stadt, das von den sozialen Bewegungen der 70er- und 80er-Jahre geprägt wurde. Ohne die gäbe es heute nicht so viele Freiräume für seltsame, schräge oder kleine Kulturen in der Stadt. Jos Fritz war immer ein Teil davon.“ In den letzten Monaten ist ihm die Zeit für den Laden knapp geworden. Seit 2002 sitzt Frey für die Grünen im Gemeinderat, Schwerpunkt Jugend und Soziales. Kürzlich wurde er in den Fraktionsvorstand gewählt. Auf so einem Weg trifft man in Freiburg viele Leute aus bewegten Zeiten wieder. Und viele Stammkunden, das ist manchmal nicht einfach auseinander zu halten.

Manche sprechen daher von einem grünen Freiburger Filz. „Ja“, sagt Wolfgang Rieger, 48, „man kann es ruhig so deutlich sagen: In Freiburg gibt es diesen grünen Filz. Das ist nicht anders als in anderen Städten auch: Die Alteingesessenen kennen sich untereinander, man macht Geschäfte miteinander. Hier sind es eben die Linken. Trotzdem haben wir versucht, keine Konzessionen an das eigene Modell zu machen. Das ist ein Problem, wirtschaftlich gesehen. Aber eines mit gigantischen Vorteilen.“

Eingestiegen ist Rieger in der heißen Wachstumsphase des Ladens, Ende der 80er-Jahre, als der Sprung geschafft war aus der Krise und dem Szene-Milieu. Das Kollektiv eröffnete ein eigenes Antiquariat, später kam ein wissenschaftlicher Second-Hand-Buchladen in der Unibibliothek dazu, ein Laden in Münster und das Online-Antiquariat, eines der ersten überhaupt in Deutschland. Zu Anfang war das eine Goldgrube, sagt Rieger, bis vor kurzem selbst Antiquar bei Jos Fritz. Ende 2004 war dann Schluss. Keine Chance mehr gegen die massiv ins Netz drängende Konkurrenz, sagt er. Von den 15, die ursprünglich zu Jos Fritz gehörten, blieben am Ende sieben übrig. Nach endlosen, zähen, verletzenden Verhandlungen. Eine unangenehme Erfahrung für ein Unternehmen, aus dem niemand gekündigt werden darf, weil alle im gleichen Boot sitzen.

Seither ist vielen Kunden wieder bewusst geworden, wie viel Kraft es kostet, im gegenwärtigen Klima an einem solchen Betriebsmodell festzuhalten. Ein Anachronismus, könnte man spotten. Aber dann wäre die Vorstellung vom freien, sozialen Leben auch einer.