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Archiv-Artikel

Prinzipienlos

KORRUPTIONSTHEATER Mit David Hares „Gethsemane“ bringt das Ernst Deutsch Theater endlich ein Stück von Großbritanniens „leading contemporary playwright“ auf die Bühne. Leider als harmloses Boulevardtheater

Das Ensemble stellt Normalität her, statt dem Stand der Dinge das Fieber zu messen

VON ULRICH FISCHER

Meredith Guest ist britische Innenministerin, ihre Tochter ein Problem. Denn Suzette nimmt Drogen. Wenn das die Presse erfährt! Aber die persönliche Referentin weiß schnell einen Ausweg: Otto, der mephistophelische Spendensammler der Partei spendiert der Schule die lange entbehrte Sporthalle und der Skandal wird unter den Teppich gekehrt. Offensichtlich Bestechung? Überhaupt nicht. Denn die Innenministerin selbst hat ja gar nicht mit Otto gesprochen. Und sie kann nun mal nicht jeden Anruf ihrer Referentin nachverfolgen.

Dies ist nur eine Facette des facettenreichen Stücks „Gethsemane“, einer mit kaltem Blut und heißem Herzen geschriebenen Attacke über den Niedergang in Politik und Publizistik von David Hare, den die Times vor ein paar Jahren schon zu „Britain’s leading contemporary playwright“ erklärt hat. Die Ziele von Hares Angriff benennt der Brite dabei furchtlos. Unter anderem tritt in einer Szene der Premierminister auf – Tony Blair ist gemeint: New Labour ist völlig heruntergekommen, statt die Interessen ihrer Wähler umzusetzen, denken deren Politiker nur noch ans eigene Wohl. Die Korruption hat sich weit vorgefressen.

Ein Stück nur über England? Das Publikum im Ernst-Deutsch-Theater bewies bei der Erstaufführung am Donnerstagabend letzter Woche das Gegenteil: Als es um die Prinzipienlosigkeit der Politiker ging, um ihr Sesselkleben, lachte das Publikum nicht nur bitter, es gab sogar Gesinnungsbeifall. Was den Briten ihr Tony Blair, ist den Deutschen der Bundespräsident. Das Problem ist universell.

Sir David – die Queen hat Hare wegen seiner Verdienste um das britische Drama zum Ritter geschlagen – wird im (lesenswerten) Programmheft zitiert: „Nach zwölf Jahren New Labour und den vorausgegangenen annähernd achtzehn Jahren unter einer konservativen Regierung haben wir in Großbritannien einen merkwürdigen Punkt erreicht. Jeder Person des öffentlichen Lebens werden unlautere Motive unterstellt. Politikern wird nicht geglaubt. Journalisten wird gänzlich misstraut.“

Dieser packende Zugriff allerdings fehlt Rüdiger Burbachs Inszenierung gänzlich – er verharmlost das Schauspiel sträflich. Es kommt als Boulevard daher, anstatt das Jahrhundert in die Schranken zu fordern. Das Ensemble, wacker, stellt Normalität her, statt dem Stand der Dinge das Fieber zu messen. Zumindest ist die Übersetzung Stefan Kroners gelungen.

Allerdings wäre es völlig verfehlt, das kleine Theater in den Mittelpunkt der Kritik zu rücken. An den Pranger gehören die großen Theater, die ein solches Kleinod wie „Gethsemane“ nicht spielen, Hares gesamtes Werk kaum würdigen. Dass er zugunsten deutscher Dramatiker, die den Sprung aufs internationale Parkett nie schaffen würden, hintangestellt wird, ist ein langandauernder Skandal.

Und noch was: Woher kommt bloß diese Europa-Verdrossenheit? Unsere führenden Theaterleute haben keine Ahnung!

■ bis 17. 2., Di – So, je 19.30 Uhr, Ernst Deutsch Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1