: „Konsumenten ticken anders“
TRANSPARENZ „Ausgetrickst und angeschmiert“ heißt das neue Buch von Gerd Billen, dem obersten Verbraucherschützer Deutschlands. Er fordert klare und verständliche Richtlinien
Der 54-Jährige ist seit August 2007 Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV). Zuvor hat er in der Hamburger Otto Gruppe als Leiter des Geschäftsbereichs Umwelt- und Gesellschaftspolitik gearbeitet.
taz: In Ihrem neuen Buch „Ausgetrickst und angeschmiert“ beklagen Sie die Rechtlosigkeit der Verbraucher. Was aber, wenn wir uns selber als aufgeklärte und mündige Konsumenten betrachten, die sich selber wehren können?
Gerd Billen: Achtzig Millionen Konsumenten in Deutschland sind doch keine homogene Gruppe. Viele ärgern sich über sehr unterschiedliche Dinge. Das kann das irreführende Preisschild im Supermarkt sein, aber auch die falsche Beratung durch ein Bankinstitut oder die mangelnde Gewährleistung für ein Notebook.
Wer sich über Güter und Dienstleistungen informieren will, kann dies tun. Wozu brauchen Verbraucher überhaupt einen Beschützer?
Auch Leute, die die Informationen haben, treffen nicht immer die richtigen Entscheidungen. Konsumenten ticken anders. Nehmen Sie ein Beratungsgespräch in einer Bank: Da kommt es auf die zwischenmenschliche Situation an. Wenn ich dem Berater vertraue, werde ich eher einen Vertrag abschließen. Zu viele unverständliche und unrelevante Informationen erschweren oft die Vergleichbarkeit von Produkten und Dienstleistungen.
Wie wollen Sie dem künftig abhelfen?
Wir plädieren dafür, den politischen Verbraucherschutz zu stärken. Die Verbraucherzentralen brauchen mehr Geld für ihre Beratungs- und Kontrolltätigkeit. Die Politik muss bessere Gesetze erlassen. Auch, um Konsumenten vor schlechten Finanzprodukten zu schützen.
Sollte die zentrale Finanzaufsicht (Bafin) das Recht bekommen, risikoreiche und zu komplizierte Geldanlagen zu verbieten?
Derzeit sind schätzungsweise 800.000 verschiedene Finanzprodukte auf dem Markt. Verbote einzelner Anlagemöglichkeiten würden nicht viel bringen. Besser wäre es, die einzelnen Produktgruppen auf ihre Risiken zu untersuchen. Dies könnte in Zukunft durchaus eine Aufgabe der staatlichen Aufsicht sein. Wir fordern zum Beispiel, leicht verständliche Gebrauchsanleitungen für Finanzprodukte einzuführen, die über Kosten, Risiken, Rendite und Laufzeit informieren. Die Leute müssen wissen, woran sie sind. Das entscheidende Stichwort lautet „Transparenz“.
Sie fordern außerdem ein Nachhaltigkeitssiegel für Unternehmen. Vertrauen Sie den existierenden Zertifikaten für ökologische und fair gehandelte Produkte nicht?
Die meisten Siegel bescheinigen nur die spezifischen ökologischen Eigenschaften des jeweiligen Produkts. Das Biosiegel sagt aber noch nichts darüber aus, ob in dem jeweiligen Biobetrieb vernünftige Arbeitsbedingungen herrschen. An solchen sind die Verbraucher aber zunehmend interessiert. Sie wollen sich auch über die sozialen, ökologischen Herstellungsbedingungen informieren. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie man diese Art von Informationen aufbereiten und an die Verbraucher weitergeben kann.INTERVIEW: HANNES KOCH UND MANDY KUNSTMANN
■ Gerd Billen: „Ausgetrickst und angeschmiert. Wie wir Verbraucher uns wehren können“. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2009, 246 Seiten, 19,95 €