„Abkommen bleiben“

VORTRAG Nach dem Arabischen Frühling wird die Zukunft der Migrationskontrolle der EU diskutiert

■ 40, ist Jurist und Aktivist einer antirassistischen Initiative in Paris. Er arbeitet auch als freier Journalist.

taz: Hat der Arabische Frühling die Migration aus Nordafrika verändert, Herr Schmid?

Bernhard Schmid: Erstmal gab es ganz unmittelbar mehr Migration. Die polizeiliche Kontrolle ließ nach, was vielen die Flucht über das Mittelmeer ermöglichte. Aber auf einmal musste die EU den Krieg gegen Flüchtlinge im Mittelmeer wieder verstärkt selbst führen, was zuvor erfolgreich an die Despoten Nordafrikas delegiert worden war.

Welches Interesse haben Tunesien und Libyen an einer Zusammenarbeit mit der EU bei der Migrationspolitik?

Ein widersprüchliches. Einerseits sind Migranten in die EU auch eine ökonomische Stütze für diese Länder und ihre Infrastruktur, weil sie Geld an ihre Verwandten überweisen. Andererseits brauchen diese Länder eine gute Beziehung zum Norden – Tunesien ist stark auf den EU-Binnenmarkt und seine Touristen angewiesen. Und die EU möchte, dass unerwünschte Migration unterbunden wird. Deswegen gab es bilaterale Abkommen. Etwa, dass Tunesien die Fluchtwege schließt, die EU dafür jährlich 8.000 beruflich qualifizierte Migranten aufnimmt.

Mit Gaddafi und Ben Ali gab es Abkommen. Und nun?

Die Abkommen sind geblieben und ich befürchte, sie werden beibehalten, weil die Übergangsregierungen auf gute Kontakte setzen. Sie sind stark mit ihren inneren Umbrüchen beschäftigt. Keine der Parteien will die Migrationspolitik verändern. Nun aber ist überhaupt eine demokratische Diskussion darüber möglich.

Andererseits wurden Menschen evakuiert.

Ja, aus Libyen, wegen des Bürgerkrieges – allerdings wurden Transit-Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer, wie Mali oder den Senegal ausgeflogen. Das alte Regime übernahm eine Gendarmen-Funktion für die EU. Mit Hilfe der Grenzschutzagentur Frontex wurde und wird versucht, die Grenzen wieder dicht zu machen. Dabei wurden Flüchtlingsboote abgedrängt oder Menschen in Seenot die Hilfe verweigert. Tausende starben 2011 bei dem Versuch, Europa zu erreichen oder wurden gleich nach der Einreise wieder abgeschoben. INTERVIEW: JPB & MNZ

Villa Ichon, 19.30 Uhr, Raum 2