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Archiv-Artikel

Den Himmel voller Geigen

An einem gewöhnlichen Abend in der Philharmonie kann man die Geige gleich dutzendfach hören. Das ist normal in der klassischen Musik, und daran hat man sich auch in ihrer Erweiterung in die Gegenwart hinein gehalten, wie einem der bereits kurze Blick ins Programmheft vom heute beginnenden Ultraschall-Festival bestätigt. Auch der Himmel der Neuen Musik hängt weiterhin voller Geigen. Unten auf der Straße aber reicht man wohl nicht so hoch. Jedenfalls ist an einem gewöhnlichen Abend hier in den Rockclubs mit ziemlicher Sicherheit nichts von einer Geige zu sehen.

Geige und Rock scheinen irgendwie nicht zu passen.

Eine Nachfrage bei der Fachliteratur: In Tibor Kneifs Buch „Rockmusik“, das sich im Untertitel als „Handbuch zum kritischen Verständnis“ bewirbt, werden auch umfänglich die Instrumente des Rock beschrieben: die Gitarre, das Schlagzeug, die Keyboads, das Saxophon. Selbst die Flöte hat ein Kapitel. Und die Geige? Sie fehlt in dem allerdings bereits 1982 erschienenen Buch. Aber so viel hat sich seither nicht geändert. Auch nicht, dass die Geige beim Pop als Gefälligkeitsmusik eigentlich doch immer mitmachen musste. Sie sorgte seit je für den musikalischen Zuckerguss, und das sind eben dese „schmalzigen Geigen“, von denen auch auf der Seite hier oben in Thomas Winklers Besprechung des neuen Albums von Jim Kroft zu lesen ist. Aber die gehörten nie wirklich dazu. Solche Studiogeiger mussten schon froh sein, wenn überhaupt mal ihr Name auf den Plattencovern erwähnt wurde. Meist tat man das nicht. Wenn aber eine Geige mal nicht nur als Dekoration, sondern als reguläres Instrument bei einer Bandbesetzung auftaucht, hat man damit bereits ein einigermaßen verlässliches Zeichen dafür, dass der Rock bei dieser Band doch etwas experimenteller und freigeistiger angegangen wird als sonst im Geschäft. Das war bereits bei Velvet Underground so mit John Cale, der mit seiner Viola ein tolles Nervinstrument zur Hand hatte und mit ihr halt einfach noch einen anderen Bildungshintergrund mit einbrachte in die Rock-’n’-Roll-Kapelle. Und aktuell findet man das bei Kollektiven wie Arcade Fire oder Polyphonic Spree, wo fröhlich immer auch gegeigt wird. Oder bei Emanuel and the Fear, einem fidelen Haufen aus Brooklyn, der unbeschwert um die Stühle herumtanzt mit fingerschnippendem Pop, psychedelisch ausgewaschenem Folkrock und abgeschrägtem Glam-Sound um die Locken von Marc Bolan herum. Könnte man alles vielleicht auch ohne Geige machen. Mit ihr aber klingt es im Rock dann eben doch immer gleich ein Stückchen verwegener. THOMAS MAUCH

■ Emanuel and the Fear: Privatclub, Montag, 20 Uhr