: „Damit nicht geheult wird, lachen sich alle tot“
Aldona Watolla trägt Chansons und Gedichte in Kölner Kneipen und Cafés vor – auf Polnisch. Sie ist eine der wenigen, die Lieder und Literatur ihres Heimatlandes jenseits der subventionierten Austauschprogramme deutsch-polnischer Kulturvereine vorstellt. „Traum vom Leben“ heißt ihr Programm
VON ANGELIKA CALMEZ
„Ihr habt nichts verpasst“, poltert die junge Frau im roten Kleid ins Mikrofon. Drei verspätete Gäste, im Begriff, sich durch den engen Raum an ihr vorbei zum Publikum zu schleichen, sind leicht irritiert. Kichern bei denen, die von Anfang an dabei waren. „Es ist nicht schlimm, dass ihr zu spät seid. Denn es hätte noch schlimmer kommen können“, fährt Aldona Watolla, nun schon sanfter, fort. Und damit ist klar: Es handelt sich um die Überleitung zum nächsten Chanson.
Mit kraftvoller Stimme singt sie in ihrer Muttersprache davon, dass man die Hoffnung nie aufgeben darf. Später scheint der mädchenhaft wirkenden Sängerin, die stets dicht am Publikum bleibt, aber nie darin verschwindet, die Stimme fast zu brechen, als sie auf Polnisch singt: „Entschuldige, dass ich lebe. Entschuldige, dass ich trinke, aber mir fehlt es an Glück.“ Die von Aldona Watolla interpretierten Lieder vermögen den seidenen Faden zwischen Schmerz und Frohsinn zum Reißen zu spannen. Aber am Ende hat er doch immer gehalten.
„Ich kann auch deutsche Texte singen“, erklärt die 29-Jährige Kölnerin. „Aber diese Musik“, und sie spricht von den Chansons aus ihrem Heimatland, „weckt etwas, das ganz ganz tief in mir steckt. Das verdeckt ist, weil ich das Leben hier lebe und nicht da drüben bin.“ So oft sie kann, besucht sie ihre Großmutter in der oberschlesischen Stadt Zabrze. „Wenn ich hier bin, vermisse ich die Art, wie sie dort leben, wie sie Probleme bewältigen, wie sie dort miteinander lachen“, seufzt sie. „Wenn ich aber drüben bin, vermisse ich natürlich meine Freunde in Köln.“
Ein Dilemma, für das Aldona Watolla nun eine künstlerische Lösung gefunden hat. In ihrem ersten Soloprojekt mit dem Titel „Traum vom Leben“, mit dem sie samt Pianist und Violinistin seit vergangenem Herbst durch Kölner Kneipen und Cafés zieht, lässt sie die „polnische Seele“, wie sie sie empfindet, aufleben: „Ich erzähle etwas Dramatisches. Und versuche das sofort wieder zu kippen, indem ich eine lustige Geschichte vorlese, die das aufhebt. Ich versuche zu zeigen, dass das Leben ein Auf und Ab ist. Dass es mit sehr viel Humor zu tun hat. Aber auch mit sehr viel Dramatik und Überlebenskunst.“
Es entsteht eine erfrischende Soirée mit polnischen Klassikern: Neben den gefühlvollen Chansons gibt Aldona Watolla, in deutscher Übersetzung, freche bis nachdenkliche Gedichte von Autoren wie Adam Mickiewicz oder der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska zum Besten, um das Ganze mit bissigen Gesellschaftssatiren von Slawomir Mrozek zu spicken. Satiren zum Beispiel auf eine Gesellschaft im real existierenden Sozialismus. Wo ein Zoodirektor anstelle eines echten Tieres einen Elefanten zum Aufblasen anschafft, um für seine patriotische Sparsamkeit eine Prämie zu kassieren.
Ein „besonderer polnischer Humor“, findet Aldona Watolla, der geprägt sei vom nicht vorhandenen Wohlstand im Polen der 70er und 80er Jahre – den Jahren ihrer Kindheit. Ein Humor, der darauf baue, dass es, wie sie findet, „ja oft zum Heulen ist. Und damit nicht geheult wird, lachen sie sich alle tot, denn was Anderes gibt‘s ja gar nicht.“ Aber es gibt für sie auch eine positive Kehrseite: „Ich habe damals so viel Liebe erfahren. Allein schon von den Nachbarn. Ich habe es miterlebt, wie jeder zwar seine eigene Wohnung hat, sie aber eigentlich alle miteinander leben“, schildert Aldona Watolla. Als Zwölfjährige siedelte sie mit ihren Eltern völlig überraschend nach Deutschland über.
„Damals ist fast eine Welt für mich zusammengebrochen“, erinnert sie sich, „weil ich dachte, ich kann keine Schauspielerin mehr werden.“ Aber die kindliche Sorge der leidenschaftlichen Schultheaterschauspielerin sollte sich als überflüssig erweisen. Heute blickt die ausgebildete Sängerin und Schauspielerin auf Bühnenerfahrungen in Gießen, Frankfurt und Köln zurück. Zu Hause ist sie nur selten anzutreffen. Neben den Theaterrollen spricht sie Radiowerbung und jobbt auch als Backgroundsängerin. Und nun ist sie auch noch als Solistin am Start, mit dem Plan, das Programm weiter zu spielen und, später einmal, eigene Chansons zu erarbeiten.
Im Raum Köln ist Aldona Watolla eine der wenigen, die polnische Lieder und Literatur im Kleinkunstrahmen, jenseits der etablierten Theaterbühnen oder der subventionierten Austauschprogramme Deutsch-Polnischer Kulturvereine, vorstellt. Und sie findet Zuspruch, an den Kölner Café-Tischen jedenfalls herrscht Gedrängel um die letzten Plätze. Nach dem Programm bildet sich ein Kreis von Interessierten um die Sängerin, die Auskunft über diesen oder jenen Autor oder Chanson geben muss. „Das hat mich überwältigt“, gesteht sie.
„Traum vom Leben“, heute um 20 Uhr, INTEATA Köln, Melatengürtel 117; 24. April, 19 Uhr: Polnischer Abend, Literatur-Café Goldmund, Glasstr. 2 in Köln (mit polnischem Essen)