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Archiv-Artikel

Annäherung durch Handel

Deutschland ist ein Einwandererland. Neben kulturellem Austausch verbindet Alt- und Neubürger vor allem die Wirtschaft. Migranten sind Unternehmensgründer – aber auch Konsumenten. Ethno-Marketing hilft bei der Verständigung

12,2 Milliarden Euro geben türkische Haushalte für den Konsum aus Wer diese Kunden erreichen will, muss ihre Gefühls- und Lebenswelt kennen

VON TILMAN VON ROHDEN

Ausländische Mitbürger sind auch Konsumenten. Und da sie in den vergangenen Jahrzehnten in Scharen nach Deutschland kamen, sind sie heute eine attraktive Zielgruppe für Werber und Vermarkter. Dabei konzentrieren sich die Fachleute aus dem Ethno-Marketing besonders auf die Deutschtürken, denn sie bilden die größte Gruppe. Die 610.000 Haushalte in Deutschland verfügen nach Angaben des Essener Zentrums für Türkeistudien über ein jährliches Nettoeinkommen von insgesamt rund 15,5 Milliarden Euro. Davon geben sie etwa 12,2 Milliarden Euro für den Konsum aus.

Die Unternehmen haben das Potenzial, das hier verborgen liegt, längst erkannt. Bereits 1994 startete Mercedes-Benz mit den ersten Print-Anzeigen, die zum Beispiel in der Deutschlandausgabe der türkischen Zeitung Hürriyet erschienen. Ein wenig später folgten TV-Spots auf türkischen Satellitenkanälen.

Von Anfang an dabei war Erk Güner mit seiner Berliner Agentur WFP. Güner ist einer der Pioniere des Ethno-Marketings in Deutschland. Heute hat er viele Mitkonkurrenten, die er gerne als „Döner-Buden“ schmäht, weil sie keine Ahnung vom Geschäft hätten. Den Ethno-Werbemarkt hält er für noch längst nicht gereift. Wie auch, wo doch nur schätzungsweise ein bis zwei Prozent der finanziellen Mittel des gesamten Werbemarktes für Ethno-Marketing aufgewendet werden. Zudem beklagt er die Knauserigkeit deutscher Unternehmen, die im Ethno-Marketing nur kleckern statt klotzen würden.

„Sinnvolle Konzepte lassen sich mit diesen Minibudgets oft nicht durchführen“, beklagt Güner. Auch deshalb genüge vieles in diesem Bereich nicht professionellen Maßstäben. Darüber hinaus würden deutsche Unternehmen häufig nicht begreifen, dass eine Eins-zu-eins-Übersetzung einer von deutschen Agenturen konzipierten Kampagne bei Türken sehr oft keine Resonanz findet. „Entscheidend ist die konzeptionelle Berücksichtigung der Gefühls- und Lebenswelt der Türken. Doch davon verstehen die meist beauftragten deutschen Werbeagenturen nur wenig.“

Güner lehnt „Übersetzungsaufträge“ deutscher Agenturen grundsätzlich ab, sagt er. Zugleich arbeitet er aber ausschließlich für deutsche Unternehmen, weil die Budgets türkischer Firmen zu klein seien.

Ähnliche Klagen hört man auch von der Münchener Agentur Tulay & Kollegen, die nicht nur für die türkische Community arbeitet, sondern auch für andere Zielgruppen mit Migrationshintergrund.

Bülent Tulay möchte den Begriff Ethno-Marketing am liebsten aus dem Sprachschatz getilgt wissen, denn das, was mit ihm vor zehn Jahren beschrieben wurde, sei heute ein Auslaufmodell. Heute gehe es nicht mehr um Ethnien und Herkunftsländer. Die Zielgruppen mit Migrationshintergrund seien mittlerweile genauso ausdifferenziert wie deutsche Zielgruppen und darüber hinaus viel durchmischter als früher.

Die richtige Sprache sei das eine, ebenso wichtig sei aber die richtige Ansprache. Und da würde sich beispielsweise die dritte Generation der Türken kaum noch von deutschen Jugendlichen unterscheiden. „Hier von Ethno-Marketing zu sprechen macht überhaupt keinen Sinn.“

Aus diesem Grund spricht Tulay von interkulturellem Marketing. Dieses sei die Erbin des Ethno-Marketings. Neu sei auch, dass heute detaillierte und umfangreiche Daten über verschiedene Migrationsgruppen vorliegen. Wer wissen möchte, welche Deutschtürken über ein Einkommen von mehr 2.000 Euro netto verfügen und in den letzten zehn Monaten sich für den Kauf eines Autos interessiert haben, dürfte bei verschieden Datenanbietern, darunter die Tulay & Kollegen, fündig werden. Verwunderlich sei diese Änderung im Grunde nicht, denn auch deutsche Konsumenten seien nur durch Differenzierung und Segmentierung werbetechnisch zu erreichen.

Während Güner glaubt, deutsche Unternehmen hätten von Ethno-Marketing keine Ahnung, meint Tulay, sie würden es bewusst nur als Testfeld ansehen. Das Ergebnis ist jedoch das gleiche: Das vorhandene Potenzial an Kaufkraft in den Zielgruppen wird nicht adäquat ausgeschöpft.

Atilla Ciftci, Geschäftsführer von Beys Marketing & Media in Berlin, fasst deshalb kritisch zusammen: „Ethno-Marketing hat seinen definitiven Durchbruch nie erlebt, es ist stecken geblieben.“ Verantwortlich dafür seien unter anderem unfähige Mitbewerber, die bei potenziellen Auftraggebern für Missstimmung gesorgt hätten, und eine Schieflage der Medienlandschaft für Türken. Es gebe keine vernünftigen Printmedien, da Türken traditionell kaum lesen würden. Die TV-und Radiosender würden sich amateurhaft verhalten und könnten nicht einmal verlässliche Mediadaten präsentieren.

Thema auf dem „Gründerforum 1 – Das Unternehmen planen“ ist: „MigrantInnen gründen Unternehmen“. Weitere Infos unter www.degut.de