„Alles Spiesser“

Es geht eben doch, eine glaubwürdige Jugendzeitschrift zu machen. „Spiesser“-Chefredakteur Stawowy und Herausgeber Haring erklären, wie

200.000 Auflage und schwarze Zahlen trotz Gratisverteilung: Das ostdeutsche Jugendmagazin „Spiesser“ setzt zum großen Sprung an – und lässt etablierte Zeitungen alt aussehen.

taz: Herr Stawowy, Herr Haring – Sie machen also die Super-Illu der Jugend.

Peter Stawowy: Also – aus inhaltlicher Sicht ist das sicherlich nicht die Wunschbetitelung für uns. Spiesser ist kein Retro-Blatt. Inhaltlich sind wir eine Zeitung, der auch im Westen funktionieren würde. Aber aus wirtschaftlicher Sicht ist der Vergleich willkommen.

Nun sind viele Regionalblätter in ganz Deutschland ja geradezu „jugendfrei“ …

Haring: Von wegen. Die versuchen doch fast alle, einmal die Woche ’ne tolle, hippe, trendige Jugendseite zu machen. Wo wir nur sagen können: Knallhart am Ziel vorbei, so wird die Tageszeitung nie bei jungen Menschen punkten.

Auch im Vergleich mit dem üblichen Jugend-Lesestoff „Made in West Germany“: Bravo, Yam und Co. haben es in den neuen Ländern doch extrem schwer.

Stawowy: Der Vergleich ist nicht drin: anderes Konzept, andere Struktur, andere Auflage, andere Inhalte.

Auch ein anderer Preis, wenn wir nicht irren …

Stawowy: Richtig, wir sind kostenlos, die sind Kauftitel. Spiesser funktioniert aber eben ganz anders, wir sind aus einem Jugendprojekt hervorgegangen. Klar, jetzt ist das ein kommerzieller Titel, der sich durch Anzeigen finanziert. Aber von Jugendlichen gemacht. In der Struktur sind wir einmalig, das kann man nicht von oben aufdrücken. Was die anderen versuchen – zum Beispiel Cool vom Schwäbischen Verlag oder Viva-BamS naus dem Hause Springer – wird fast immer zum Bravo-Abklatsch. Das braucht keiner.

Geht so etwas wie Euer Blatt denn nur umsonst?

Stawowy: Ich würde nie versuchen, den Spiesser an den Kiosk zu bringen.

Lesen die Spiesser -Leser noch andere Zeitungen und Zeitschriften oder greift Ihr vor allem die Nichtleser ab?

Stawowy: Unser Leser sind eh schon politisch interessiert – die machen dann mit klassischen Tageszeitungen weiter. Aber es ist nicht unsere Mission, die Jugend zum Zeitunglesen zu erziehen.

Haring: Bei Spiesser definieren Jugendliche selbst, was sie im Heft sehen wollen. Klar, mit fachlicher Begleitung. Aber am Ende ist das eben selbst gemacht. Wir arbeiten außerdem altersmäßig in einer Lücke. Wenn man mit 13, 14 Jahren sozusagen „fertig hat“, das Dr.-Sommer-Team zu lesen, dann kommt erst mal eine ganze Weile nix – im Magazinbereich geht’s ab 25 weiter, mit Neon und so weiter.

Nach Thüringen und Sachsen-Anhalt ist nun für August ein Spiesser für Berlin und Brandenburg angepeilt. Wie lang könnt ihr da noch das Underdog-Image hochhalten?

Stawowy: Klar, das knirscht. Aber unsere bereits bestehenden Lokalredaktionen können eigene Titelbilder machen und sollen möglichst eigenständig agieren. So verlieren wir die Anbindung an die Regionen nicht. Im Gegenteil: Wir wachsen da mit.

Haring: Wir sind ja auch von einem rein Dresdner Projekt zu einer Zeitung für ganz Sachsen geworden.

Eure Themen sind meist jugendnah-serviceorientiert: Schule, Ausbildung, erste Wohnung. Im Mai-Heft geht’s dafür um Europa …

Stawowy: Da haben wir in der Redaktion auch erst gesagt: „Wah – Europa! Abstrakt, das ist doch so’n Wirtschaftskonstrukt.“ Wir haben dann polnische Jugendliche getroffen, die 50 Meter hinter der Grenze leben und sich mit ihren Vorurteilen und Erwartungen auseinander setzen. Und wir haben Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen, die ein paar Kilometer von den Niederlanden entfernt wohnen, wo es längst keine richtige Grenze mehr gibt. Fazit: Die haben alle die gleichen Vorurteile – das sind eben alles „Spiesser“. INTERVIEW: HPI, STG