: Saudische Fatwa gegen Zwangsehen
Der oberste Rechtsgelehrte des Landes bezeichnet Heiraten gegen den Willen der Frau als unislamisch und schlägt vor, uneinsichtige Väter einzusperren. Die Scheidungsrate liegt bei fünfzig Prozent. Frauen feiern das Gutachten als einen Erfolg
VON KARIM EL-GAWHARY
„Es ist ein unglaublicher Schritt nach vorne, weg von den Zwangsentscheidungen der Familie oder des Stammes.“ Die saudische Frau, die in der Tageszeitung Al-Riad gestern nur in mit ihren Initialen T. H. vorgestellt wird, ist begeistert. Der Großmufti des konservativen Königreiches hat diese Woche eine vielbeachtete Fatwa veröffentlicht, in der er Ehen, die gegen den Willen der Frau geschlossen werden, als unislamisch bezeichnet.
„Eine derartige Tat stellt Ungehorsam gegenüber Gott und dessen Propheten Mohammed dar“ urteilte Abdul Asis al-Scheich, der oberste islamische Rechtsgelehrte des Landes. Er machte auch gleich einen praktischen Vorschlag zur Sache. Väter, die ihre Töchter zwangsverheiraten wollen, sollten so lange eingesperrt werden, bis sie ihre Meinung dazu ändern. Außerdem ächtete der Mufti die unter saudischen Familien weit verbreitete Praxis, Frauen unter Hausarrest zu stellen. All dies entspringe vorislamsichen Traditionen, heißt es in dem islamischen Rechtsgutachten.
T. H.s Enthusiasmus über das neue religiöse Verdikt ist verständlich. Die in der südsaudischen Provinz Asir lebende Frau war von ihrem Vater jahrelang unter Hausarrest gestellt worden, um sie dazu zu bringen, einen Verwandten zu ehelichen. Als der Vater starb, übernahm der Bruder die Aufgabe, T. H. unter Druck zu setzen. Aber die Frau gab nicht auf. Heute ist sie 50 Jahre alt und unverheiratet.
T. H. ist durchaus kein Einzelfall. Junge Frauen gegen ihren Willen zu verheiraten, ist gang und gäbe im Königreich, oft, um einen Verwandten zu heiraten und das Geld in der Familie zu belassen oder reich einzuheiraten. Viele Frauen bleiben nicht so standhaft wie T. H. Das religiöse Establishment handelte nun vor allem, weil sich die Missstände in den saudischen Scheidungsraten widerspiegeln. Laut Medienberichten sollen etwa die Hälfte der Ehen mit Scheidung enden.
Nicht nur T. H. feiert. In den saudischen Zeitungen werden zahlreiche Frauen zitiert, die ihre Erleichterung über die Fatwa zum Ausdruck bringen. „Die Entscheidung beendet endlich eine weitverbreitete Praxis, über die bisher niemand offen gesprochen hat“, meint Umm Faleh in der gestrigen Ausgabe der Tageszeitung Al-Riad. Im gleichen Blatt lobt Umm Faisal den Schritt als „Beweis für den Reformprozess im Lande, der endlich unwiderruflich diesem tyrannischen und unterdrückerischen Phänomen ein Ende bereitet“.
Safinaz Murschid, eine Krankenhausangestellte, meldet allerdings Bedenken an: „Wohin sollen sich die Töchter wenden? Wer hilft ihnen und wer schützt sie und wo können sie Anzeige erstatten?“, fragt sie. Auch die Anwältin Mais Abu Dalbouh bleibt nach einem ersten Lob skeptisch: „Welche Tochter würde am Ende tatsächlich gegen ihre eigene Familie Anzeige erstatten? Die Mädchen werden dann nur noch mehr von der Familie unter Druck gesetzt“, fürchtet sie. Fatin Bundagji, die Direktorin der Frauenforschungsabteilung der Handelskammer in Dschiddah, meint: „Der nächste Schritt muss nun von der Gesellschaft selbst unternommen werden, die die Fatwa nun annehmen und sicherstellen muss, dass diese Regeln auch durchgesetzt werden und dass die Frauen sich ihrer Rechte bewusst werden.“