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Archiv-Artikel

Josef-Otto Freudenreich Ein Schritt daneben

Manchmal hilft es, einfach neben sich zu treten und darüber nachzudenken, was man tut. Manches relativiert sich dadurch, manche Aufregung wird kleiner, mancher Zwischenton klarer, und vielleicht stiehlt sich sogar ein leichtes Lächeln ins Gesicht, wenn man sich vor Augen hält, welchen Tanz man gerade wieder aufgeführt hat. Das ist gut für das Seelenheil.

Die Debatte um den eingebetteten Journalismus ist ein solches Lehrstück. Es konnte nur ein finsterer Plan der Polizei sein, sich willfähriger Journalisten zu bedienen, um ihre Propaganda unters Volk zu bringen. Im günstigen Fall war von einer „Zweiklassengesellschaft“ die Rede, also von einer Aufteilung in Bevorzugte und Benachteiligte. Im weniger günstigen Fall wurde von „Medienhuren“ gesprochen. Das schmerzt.

Nicht, weil es persönlich treffen würde. Nein, weil es einen Einblick gibt in die Gedankenwelt eines Teils der S-21-Gegner, der sich um so weiter von der Wirklichkeit entfernt, je näher sie kommt. Da ist viel Verzweiflung dabei, das schlimme Gefühl der Ohnmacht, die (scheinbare) Niederlage nach einem aufopferungsvollen Kampf gegen das (scheinbar) Unumkehrbare. Alles erklärbar, vieles verständlich, aber eine Strategie, eine Perspektive ist es nicht. Auch die Schuhe gegen den Ministerpräsidenten sind es nicht. Kretschmann ist nicht Mappus. Dass es so, in Teilen, wahrgenommen werden könnte, hat Kontext:Wochenzeitung schon früh prophezeit. Überall nur Feinde zu wähnen trübt den Blick. Aber gerade den will die Kontext:Wochenzeitung offen halten. Für Gegenwärtiges und Künftiges. Und deshalb sind zwei Kontext-Kollegen zur Polizei gegangen, und deshalb haben sich sechs weitere vor dem Südflügel die Nacht um die Ohren geschlagen. Auch im Schlossgarten, wo die Polizei ein tumbes Ablenkungsmanöver startete.

Wir waren also drinnen und draußen, wie es sich für ordentliche Journalisten gehört, und darüber berichten wir (Bett-Geschichten). In aller Unaufgeregtheit, mit der nötigen Distanz und Haltung und mit dem Anspruch, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Dazu gehört das Gespräch mit dem Polizeipräsidenten ebenso wie das mit den Demonstranten.

Wer in diesem Sinne zur Seite tritt und die Nacht vor dem Südflügel Revue passieren lässt, wird erkennen, dass es keine Nacht der Verschwörung war, nur ein weiteres Glied in der Kette, die sich um den Protest gelegt hat. Ihr Name ist Macht und Ohnmacht, ihre Stabilität nicht von ewiger Dauer.

Wer sich gar den Luxus des Lächelns erlauben wollte, selbst der fand dafür einen Anlass. Er durfte sich mit der Stuttgarter Zeitung vergnügen, die schon am Vorabend der Räumung wusste, wie sie ausgehen würde. In einer feinen Reportage erzählte sie dem Leser am Donnerstag, den 12. Januar, um 21.30 Uhr, wie friedlich der Abtransport der Demonstranten am Freitag, den 13., um 4 Uhr morgens verlaufen ist. Aber auch hier gilt: nicht gleich nach dem Presserat rufen. Es war ein nur technisches Versehen. Den Parkschützer, der angekündigt hat, demnächst im Pressehaus nach den Lottozahlen des nächsten Tages zu fragen, macht auch die StZ nicht zum Millionär.