: Ungewöhnliche Kompositionen
Weil „Kunst“ manchmal auch von „komisch“ kommt, sind ungewöhnliche bis skurrile Kompositionen ein fester Bestandteil des weltweiten Kulturbetriebs.
Erst kürzlich erlebte in Deutschland ein Werk Premiere, das von quasi staatstragender Bedeutung ist, jedenfalls inhaltlich. Der Karlsruher Komponist Thomas Bierling hat das Grundgesetz vertont, alle neunzehn Artikel. Die Komposition bewegt sich irgendwo zwischen Neuer Musik und freier Improvisation und schließt auch performative Elemente mit ein, wie der Meister erläuterte. Das Werk für Klavier, Saxophon und Stimme ist eine Auftragsarbeit für die Stadt Karlsruhe, die damit ihrer Bewerbung als europäische Kulturhauptstadt 2010 Auftrieb geben wollte.
Der Idee des Rechts „mit ihren Axiomen als streng logisches Konstrukt auf einem Kanon aus Grundwerten fußend“ wohne eine „inhärente Schönheit“ inne, ähnlich der Mathematik, erläuterte der Künstler den Reiz seines Schaffens. Ob das Grundgesetz musikalisch einen besseren Klang hat als politisch, ist umstritten.
Wenigstens wurde es nicht als Klingeltonwerk veröffentlicht. Doch die Handymanie hat auch so schon tolle Blüten getrieben. Was unter künstlerischem Aspekt bisher undenkbar schien, ist längst eingetreten: Das Mobiltelefon hat die höheren Weihen als Musikinstrument bekommen!
Der Engländer Simon Turner komponierte 2002 ein halbstündiges Werk in vier Sätzen, um das gesamte musikalische Potenzial der Handys mit ihren „faszinierenden Geräuschen“ auszuschöpfen. Immerhin handle es sich beim Mobiltelefon um das „meistverkaufte Instrument der Welt“. Die Komposition wurde bei einem Musikfestival im westenglischen Cheltenham von einem 30-köpfigen Handy-Spieler-Orchester aufgeführt. Bei einem der Sätze konnten sogar die Zuhörer ihre Mobiltelefone zuschalten.
Die Briten lieben offenbar solch schräge Vorführungen. 2003 übertrug der Rundfunksender BBC ein viereinhalbminütiges Musikstück von John Cage ohne einen einzigen Ton – also Stille. Im Rahmen eines Konzerts des BBC Symphony Orchestra zu Ehren des amerikanischen Komponisten wurde erstmals dessen unhörbares Stück „4’33“ ins Hörfunkprogramm aufgenommen. Der Programmdirektor der Klassikwelle des Senders ließ dazu wissen, dass es sich bei dem Stück immerhin um einen Klassiker handele, der eigentlich „mehr besprochen als aufgeführt“ werde.
Für die Sendung musste extra ein Notfallsystem abgeschaltet werden, das sich normalerweise aktiviert, wenn ein Programm ausfällt und nichts zu hören ist. Seit der Uraufführung 1952 gehört „4’33“ zu den beliebtesten Stücken, um die Gemüter von Musikliebhabern zu erhitzen.
Der 1992 verstorbene John Cage hat aber noch ein zweites Werk für die Ewigkeit geschrieben – oder zumindest fast für die Ewigkeit: das Opus „Organ2“. Die im Jahr 2001 begonnene Aufführung des längsten Konzerts der Menschheitsgeschichte findet in der Burchard-Kirche zu Halberstadt statt. „Organ2“ macht den Bau einer eigens zu diesem Zweck errichteten Orgel notwendig und erstreckt sich über einen Zeitraum von 639 Jahren. Zwischen den Tonwechseln vergehen schon mal mehrere Monate. Fürs Erste tuten drei immer gleiche Töne. GUNNAR LEUE