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Archiv-Artikel

Ursulas Albtraum

MUTTERROLLE Beeindruckt: „Madonnen“ von Maria Speth (0 Uhr, ZDF)

Einmal, noch am Anfang des Films, steht Rita (Sandra Hüller) auf einer Terrasse und raucht, neben ihr ihr Vater (Olivier Gourmet), dem sie eben zum ersten Mal begegnet ist. Es ist Winter, das flache Land wirkt karg, ausgezehrt, das Neubaugebiet uniformiert. „Gefällt mir, das Haus“, sagt Rita, während sie raucht und friert. „Hier könnte ich auch wohnen.“ Der Vater schaut ungläubig, verärgert. „War ein Scherz“, sagt Rita.

Rita, die Hauptfigur in Maria Speths beeindruckendem Spielfilm „Madonnen“, hat kein Zuhause. Immer wenn jemand um sie herum eines errichtet, wehrt sie sich dagegen, immer wenn sie andeutet, dass sie ein Zuhause brauchen könnte, wird ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen. Und Rita hat fünf Kinder. Die leben bei Ritas Mutter Isabella (Susanne Lothar), drei sind dunkelhäutig, die Väter abwesend. Nach und nach schält sich heraus, dass es wahrscheinlich in Deutschland stationierte Soldaten der US-Armee sind. Irgendwann holt Rita die Kinder zu sich und bezieht eine karg möblierte Wohnung in einer Hochhaussiedlung. Als die Kinder zu der ihnen fremden Mutter ins Auto steigen, sagt Rita: „So, jetzt woll’n wir mal so richtig Spaß haben.“

Unterschicht, Bildungsferne, verantwortungslose Mutter, vernachlässigte Kinder – alles, was Ursula von der Leyen fürchtet, findet sich in Rita verkörpert. Aber nur auf den ersten Blick. Denn Maria Speth nimmt weder Klassifikationen vor, noch fällt sie ein Urteil. Sie lässt nicht zu, dass man Rita mit einem Begriff wie „Rabenmutter“ kommt oder sich instinktiv gegen die Figur wendet, nur weil man überzeugt ist, eine Mutter dürfe so nicht sein. Speth geht es ums Registrieren, ums Beobachten. Das führt auch dazu, dass man Rita in heiteren, entspannten Augenblicken erlebt, beim Tanzen mit den GIs oder mit einem Gin Tonic in der Hand. „Madonnen“ macht seinen Zuschauern das Geschenk, dass sie selbst sehen müssen, wie sie damit klarkommen. CRISTINA NORD