: Bis zum Horizont und weiter
Schwimmende Häuser in gefluteten Gruben: Das „Fürst-Pückler-Land“ in der Lausitz ist die größte Landschaftsbaustelle Europas. Nun ziehen die Macher des IBA-Projekts 2010 mit einer Ausstellung in Großräschen eine optimistische Halbzeitbilanz
Von UWE RADA
Es gibt einen hübschen Film aus den Neunzigerjahren, in dem ein arbeitsloser Baggerfahrer (Wolfgang Stumph) eine Berliner Richterin (Corinna Harfouch) in die Braunkohlelandschaft der Lausitz entführt. Die Richterin hatte die Frau des Baggerfahrers verknackt und soll nun am eigenen Leib erleben, wie es sich so lebt neben stillgelegten Tagebauen und weggebaggerten Dörfern. Mittendrin in diesem Roadmovie lässt der Entführer sein Opfer aus dem Auto steigen. „Ich schreie“, droht die Richterin. „Schreien Sie ruhig“, raunt der Baggerfahrer, „hier hört sie sowieso keiner.“ Er nimmt ihr die Augenbinde ab, und sofort weiß sie, warum: Auf dem Mond würde sie auch keiner hören.
„Bis zum Horizont und weiter“ von Peter Kahane ist einer jener Filme aus und über Ostdeutschland, in denen vieles in Bewegung gekommen ist und keiner weiß, wie und wann das zu Ende geht. Aber vielleicht ist das das Erbe einer Landschaft, die wie die Lausitz schon immer vorläufig war, und deren Vorläufigkeit ganz andere Bilder hervorgebracht hat als dort, wo alles an seinem Platz ist.
Die Chancen dieser aufgenötigten Aufbrüche, auszuloten und sie in nachhaltige Projekte umzusetzen, dazu ist die Internationale Bauausstellung „Fürst-Pückler-Land“ vor fünf Jahren angetreten. Nach dem Ende der meisten Braunkohlegruben sollte nach dem Willen des IBA-Erfinders und vormaligen Bauhauschefs in Dessau, Rolf Kuhn, in der Lausitz keine Bergbaufolgelandschaft aus dem Katalog entstehen, sondern eine „Zeitmaschine“, die dem industriellen und vorindustriellen Erbe ebenso verpflichtet ist wie der postindustriellen Zukunft. „Wälder und Seen gibt es überall“, fand Kuhn. „Wälder und Seen neben stillgelegten Kraftwerken und Abraumförderbrücken sind dagegen einmalig. Das bringt uns auch die Touristen aus Dresden und Berlin.“ So entstand bald die größte Landschaftsbaustelle Europas – benannt nach Fürst Hermann von Pückler, der als Gründer der Landschaftsparks in Muskau und Branitz im 19. Jahrhundert selbst als größter „Erdbeweger“ seiner Zeit galt.
Mittlerweile sind fünf der veranschlagten zehn IBA-Jahre ins Land gegangen. Zeit genug für Kuhn und sein Team, Halbzeitbilanz zu ziehen. Und die fällt überraschend optimistisch aus. Nicht nur die „F 60“, die mit 500 Metern Länge größte Abraumförderbrücke der Welt, hat seit ihrer Eröffnung als Besucherbergwerk die Touristen in Scharen angezogen. Auch die übrigen 24 Projekte der IBA haben größtenteils gehalten, was sie versprachen. Der Stadtumbau in Cottbus ist vorangeschritten, im ehemaligen Kraftwerk Plessa wird demnächst Bier gebraut, und noch Ende des Jahres sollen die ersten „schwimmenden Häuser“ auf die Lausitzer Seenlandschaft, ehemalige Tagebaurestlöcher, von denen einige schon geflutet sind. Einzig die Entwicklung der „Theaterinsel“ in Guben und dem polnischen Gubin ist noch nicht vorangekommen.
Kernstück der Halbzeitbilanz ist aber die Ausstellung „Bewegtes Land“, die gestern im IBA-Besucherzentrum in Großräschen eröffnet wurde. Die Berliner Architekten und Designer Tom Duncan und Noel McCauley haben dem aufregenden IBA-Terrassenbau von Ferdinand Heide eine Ausstellungsarchitektur verpasst, die mit den geologischen Schichten der Lausitz spielt und den Zeithorizont der Landschaft mit dem des Menschen ins Verhältnis setzt. Die industrielle Nutzung der vergangenen 150 Jahre schrumpft so zur erdgeschichtlichen Fußnote, der Blick kann sich umso leichter von der Kohle lösen. Im Werden der neuen Landschaft will Kuhn den Gegenbeweis dazu antreten, dass die „Industrie in uns“ viel langsamer verschwindet als die „Industrie um uns“. Allzu gut weiß Kuhn aber, dass es dazu neuer Bilder bedarf: Nicht nur solche, die einer Corinna Harfouch als entführter Richterin aus Berlin das Staunen ins Gesicht schreiben. Kuhn will auch, dass man sich die postindustrielle Lausitz als Landschaft mit Zukunft vorstellen kann.
Auf der IBA-Halbzeitbilanz sind es deshalb nicht mehr stillgelegte Kraftwerke oder die geretteten „Biotürme“ in Lauchhammer, die im Zentrum stehen, sondern die touristische Nutzung des Lausitzer Seenlands. Schwimmende Häuser, Tauchschulen, Marinas, über Kanäle verbundene Seen, all das ist keine Zukunftsmusik mehr. Rund um Großräschen wird die Internationale Bauausstellung nolens volens zur Tourismus- und Marketingveranstaltung, aber das stört Kuhn nicht. Seine neue Landschaft soll nicht nur intellektuelles Gedankenspiel sein, sie soll sich auch rechnen.
Die neue Landschaft sieht man auch, wenn man auf den IBA-Terrassen den Blick über die Kraterlandschaft von Meuro wandern läßt. Noch klettern am Horizont kleine Laster die Gruben auf und ab. Im künftigen Ilsesee soll es keine Schüttungen und keine Strudel geben. Nur das Wasser fehlt noch. 2018 soll es soweit sein, dann ist auch der Tagebau Meuro vollgelaufen. Dass der Ilsesee der letzte der neuen Seenlandschaft sein wird, ist kein Zufall. In Großräschen soll man das Werden noch beobachten können, während andernorts bereits Gewordenes lockt.
Zur Halbzeit ist die IBA „Fürst-Pückler-Land“, die zwischenzeitlich zur bloßen Summe ihrer Projekte zu werden drohte, wieder dorthin zurückgekehrt, wo sie ihren Ausgang nahm. Nur in Großräschen ist sie sichtbar, die Idee vom bewegten Land mit Zukunft. Dazu gehören auch die Skizzen des jüngsten IBA-Projekts, der „Wüste-Oase Welzow“. Auf dem noch in Betrieb befindlichen Tagebau soll der Abraum künftig liegen bleiben, wie er ist und von der Natur zurückerobert werden. So schleicht sich in den Optimismus der IBA auch ein Stück Realität – Wüste und Oase als Metapher für die andere Zukunft der schrumpfenden Landstriche in Ostdeutschland.
Die Ausstellung „Bewegtes Land“ ist auf der Seestraße 100 in Großräschen bis zum 30. Oktober zu sehen. Mehr unter www.iba-see.de