DIE RUSSISCHE REFORM DES WAHLRECHTS IST TEIL VON PUTINS STRATEGIE: Verachtung für den Wähler
Bei der nächsten Dumawahl wird es keine Direktkandidaten mehr geben. Nur wer über Parteiliste kandidiert, wird nach dem neuen Gesetz auch ins Parlament einziehen können. Da Russland recht anfällig ist für Servilität und Persönlichkeitskult, ließe sich diese Reform auch als ein gegen jeglichen Populismus gerichteter Versuch interpretieren, dem russischen Parlamentarismus eine rationale Komponente beizufügen. Kurzum: Professionalisierung statt Personalisierung. Dem ist nicht so. Auch wenn der Kreml auf ähnliche Rechtfertigungskonstrukte verfallen sollte.
Die Reform ist nur ein weiteres Moment des von Putin in Angriff genommenen Projekts, die in den 90er-Jahren errichteten demokratischen Fundamente abzutragen. Dabei ist die Duma als Unterabteilung der Kreml-Administration, die zwei Drittel der Abgeordneten fest an der Kandare hält, längst gleichgeschaltet. Von einer Parteiendemokratie im westlichen Sinne konnte auch vorher nicht die Rede sein. Gleichwohl gab es Ansätze und rechtliche wie institutionelle Rahmenbedingungen. Die Einführung einer 7-Prozent-Hürde und das Verbot, parteiübergreifende Blöcke zu bilden, werden nun dafür sorgen, dass im parlamentarischen Raum den autokratisch nationalistischen Demagogen keine Gegenkraft mehr erwächst. Selbst die Hand voll unabhängiger Kandidaten, die gelegentlich daran erinnern, dass es sich um eine Volksvertretung handelt, sind für die Herrschenden ein nicht kontrollierbarer Risikofaktor.
Die Reform tangiert den Wähler nicht weiter. Dennoch reagiert er, indem er sich gerade in den Regionen weigert, als Statist am Moskauer Wahltheater teilzunehmen. Daraus könnte der Kreml die Rechtfertigung für die nächste Reform ableiten: die Abschaffung der Wahlen schlechthin. Damit würde die Behauptung der politischen Elite, das Land sei nicht reif für die Demokratie, endlich aufgehen – als sich selbst erfüllende Prophezeiung. Doch die Bevölkerung ist reif für die Demokratie – sie erkennt nur immer deutlicher, dass die politisch Verantwortlichen für sie außer tiefer Verachtung nichts übrig haben. KLAUS-HELGE DONATH
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