: Die gefährlichen Dilettanten von nebenan
DEUTSCHE TALIBAN Sie sollte die erste Dschihadtruppe nur mit Kämpfern aus Deutschland sein. Sie planten Selbstmordattentate. Heute ist von den Deutschen Taliban Mudschahidin nicht mehr viel zu hören
■ Hamburg, Bonn, Berlin: In den vergangenen Jahren haben sich immer wieder „Reisegruppen“ mit jungen Männern und Frauen aufgemacht, um in den Dschihad im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zu ziehen. Zwischenzeitlich war in Sicherheitskreisen von durchschnittlich ein bis zwei Ausreisen pro Woche die Rede, darunter auch schwangere Frauen und kleine Kinder.
■ Bei welcher Gruppe der deutsche Dschihad-Nachwuchs landet, ist oft purer Zufall. Mal ist es die Islamische Dschihad Union (wie bei der Sauerlandgruppe um Fritz Gelowicz), mal die Islamische Bewegung Usbekistan (wie bei den Bonner Brüdern Monir und Yassin Chouka), mal al-Qaida (wie der inzwischen tote Bekkay Harrach), mal sind es kleine Splittergruppen wie die Deutschen Taliban Mudschahidin.
■ Das BKA vermutet, dass inzwischen mehr als 250 Islamisten „mit Deutschlandbezug“ in einem Terrorlager waren – Leute also, die entweder Deutsche sind, in Deutschland aufwuchsen oder zumindest eine Zeit lang hier gelebt haben. Mindestens 45 sollen sich seit 2001 an „Kampfhandlungen“ beteiligt haben. Nachdem die Antwort lange nur in immer schärferen Sicherheitsgesetzen gesehen wurde, will die Bundesregierung nun auch beim militanten Islamismus stärker auf Prävention setzen. (wos)
BERLIN taz | Deutsche Taliban Mudschahidin: Der Name soll vermutlich besonders bedrohlich klingen. Und auch in ihren Videos tönt die Terrortruppe gehörig. Dort sieht man, wie Kämpfer Raketen von einem Berg feuern, anschließend rühmt sich die Gruppe bei einer „Operation“ in der ostafghanischen Provinz Paktika, „eine Vielzahl der amerikanischen Besatzer“ getötet zu haben.
Doch vieles spricht dafür, dass die ominöse Terrortruppe nicht annähernd so schlagkräftig ist, wie sie sich inszeniert hat. So forschte der deutsche Auslandsgeheimdienst BND nach, ob sich der Gruppe der Angriff an Weihnachten 2009 wirklich zuschreiben lässt. Und tatsächlich: Zu dem Zeitpunkt wurde in der Region ein Militärlager beschossen, doch es gab nicht ein einziges Opfer.
In einer anderen Videoszene steht ein Kämpfer der Deutschen Taliban Mudschahidin vor einem Haufen Metallschrott und behauptet, dies seien die Überreste eines abgeschossenen Hubschraubers. „Möglicherweise reine Propaganda“, befand ein Richter in einem Terrorhelferprozess 2011.
Die Deutschen Taliban Mudschahidin sind eine der merkwürdigsten Episoden des militanten Islamismus made in Germany. Es sollte die erste Dschihadtruppe mit ausschließlich aus Deutschland stammenden Kämpfern sein. Gegründet hat die Gruppe der in Salzgitter geborene ehemalige Drogendealer Ahmet Manavbasi. Ihm ist es gelungen, ein paar junge Männer um sich zu scharen, vorwiegend aus Berlin.
Doch mehr als ein rundes Dutzend Kämpfer hatte seine Gruppe nie. Manche Experten bezweifeln, dass sie wirklich eine eigenständige Terrororganisation darstellt und nicht etwa nur als deutsche Brigade der Islamischen Dschihad Union (IJU) oder Teil des sogenannten Haqqani-Netzwerks afghanischer Taliban anzusehen ist.
Doch das Beispiel der Deutschen Taliban Mudschahidin zeigt, dass auch eine kleine Gruppe von Dilettanten gefährlich sein kann. Denn wie aus Chatprotokollen hervorgeht, versuchte deren Anführer Manavbasi mehrmals, einen Berliner zu einem Selbstmordattentat in Deutschland zu überreden: einen jungen Mann, dem ein Gericht später attestierte, eine labile Persönlichkeit mit depressiven Zügen zu haben. Zum Glück hatte Manavbasi keinen Erfolg.
Im April 2010 starb der selbst ernannte Terroranführer. Seitdem war nicht mehr viel zu hören von den Deutschen Taliban Mudschahidin. Zwischenzeitlich wurde auf dschihadistischen Internetseiten behauptet, der Berliner Exstudent Fatih T. alias Abd al-Fattah solle der neue Chef der Gruppe werden. Später gab es Gerüchte über seinen Tod, denen die Behörden aber keinen Glauben schenkten. Sie vermuten ihn inzwischen im Iran. Angeblich will er nur noch nach Hause zu seiner Familie. WOLF SCHMIDT