BERND PICKERT ÜBER OBAMAS REDE ZUR LAGE DER NATION
: Große Ideen, leere Versprechen

Obama kann alle möglichen großen Visionen entwickeln – umgesetzt wird ohnehin nichts

In einem Wahljahr ist die Rede zur Lage der Nation die wichtigste, die ein Präsident, der eine zweite Amtszeit anstrebt, halten muss. Und Barack Obama hat seine Chance am Dienstagabend genutzt.

Dabei sagte der Präsident überhaupt nichts Neues. Obama nahm den Ton seines Rechenschaftsberichts von vor einem Jahr an gleicher Stelle auf und verwendete etliche Textbausteine aus seiner Rede über Bildung und die Rolle des Staates, die er Anfang Dezember in Kansas gehalten hatte. Zum wichtigsten Punkt, wie nämlich angesichts des riesigen Haushaltsdefizits all die angekündigten neuen Ausgaben zu finanzieren seien, hatte er nichts anzubieten außer der bekannten – und vernünftigen – Forderung, endlich die unter der Bush-Regierung eingeführten Steuererleichterungen für die reichsten US-AmerikanerInnen wieder abzuschaffen. Der Vorwurf des Populismus ließ in den Kommentaren der US-amerikanischen Presse dann auch nicht lange auf sich warten. Macht aber nichts. Denn in einer Situation, in der das republikanisch geführte Repräsentantenhaus und die aggressive republikanische Sperrminorität im Senat selbst die einfachsten, vom gesunden Menschenverstand diktierten Maßnahmen verweigern, kann Obama genauso gut eine große Vision entwickeln – umgesetzt wird ohnehin nichts.

Sollte Obama mit seiner Botschaft im November gewinnen, sollten gar auch die Demokraten im Kongress nach ihrer herben Niederlage von 2010 Zugewinne verzeichnen – dann könnte sich womöglich zumindest mittelfristig auch die Republikanische Partei wieder auf andere Zeiten besinnen und zu einer verantwortungsvollen Politik zurückkehren. Wollen die USA ihre Reformfähigkeit wiedererlangen, führt daran ohnehin kein Weg vorbei.

Es wird ein Lagerwahlkampf der leeren Versprechen – aber eben auch einer der großen Ideen werden. Die Lage der Nation ist damit im Übrigen recht gut beschrieben.

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