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Archiv-Artikel

Die letzte Platte im Tresor

Mit „Heroes“ von David Bowie schloss der Tresor am Montagnachmittag. Für ein Wochenende war er noch einmal eine Insel der Utopie. Mit großen Augen stand man herum, tanzte, rauchte und trank

VON DETLEF KUHLBRODT

Wir waren am Sonntagmorgen um sieben noch mal dahingegangen. Auch wenn man in den letzten Jahren nicht mehr so oft da gewesen war, der Tresor war doch unglaublich wichtig: als Symbol für alles Mögliche, irgendwie ein Teil der eigenen Identität. So viele Erinnerungen, auch sinnlicher Art, wie’s da riecht, der Nebel über der Tanzfläche oder die Sonne im Garten.

Man hat ja sonst wenig zu tun mit den Leuten, mit denen man hier gemeinsam euphorisch feierte oder verpeilt im Garten rumsaß. Für ein paar Tage oder Nächte war der Tresor eine Insel der Utopie, nicht so hippiemäßig, dass sich nun alle lieben würden, dass alle Unterschiede verwischt gewesen wären, sondern – irgendwie. Wo ja alle in ihrer Unterschiedlichkeit standen, tanzten, rauchten. Mit großen Augen. Die Verschwendung im Gesicht, mit der sie einander beschenkt hatten. Viele jetzt auch schon vierzig. Ich hol noch mal was. „Willst du was trinken?“

In den Nächten zuvor, als alle DJs umsonst aufgelegt hatten und der Eintritt nur drei Euro gekostet hatte, war es brechend voll gewesen. Unspezifische Massen wie auf dem Jahrmarkt. Nun, am Ende, waren es die, denen der Tresor etwas bedeutet hatte. Glaube ich. Die sich alle darum bemühten, sich würdig davon zu verabschieden. Jemand hatte ein T-Shirt an, auf dem „Respect“ stand und darunter dann geschrieben: „Vielen Dank der Tresor-Crew“. Irgendjemand legte eine Variation von Jeff Mills „The Bells“ auf, nur irgendwie in Komplementärfarben. Ganz toll. Draußen schien die Sonne. Die große Härte der letzten Tage war weg. Ein Mädchen tanzte oben ohne. Die Musik plötzlich wieder so warm und federnd, auch viel Discoklassiker reingemischt. Dimitri Hegemann stand immer draußen herum. Ein dünnes Mädchen geht mit einer Tresor-CD-Box zu ihm hin und möchte ein Autogramm haben. Dimitri nimmt sich dazu viel Zeit. Schreibt vielleicht eine kleine Geschichte.

Am Nachmittag legten Ritchie Hawtin und Ricardo Villalobos auf. War das Klasse! Einer ging da hinter das DJ-Pult, und als er neben ihm stand, hatte Richie Hawtin ein T-Shirt hochgehalten, auf dem stand „Jeff Mills“. So war ich davon ausgegangen, dass es sich um den berühmten DJ handele. Irgendwo schwirrte auch Hell herum. Man redete mit diesem und jenem oder drehte leicht ansentimentalisiert seine Runden. Bier in der Hand und Sonnenbrille. Dann wieder nach Hause. Dann wieder hin gegen Abend. Fast nur noch im Globus. Irgendwann gab es ein Feuerwerk; ganz straight ohne Schnörkel, wie die Musik. So klasse Momente, die man in seinem Kopf fotografiert, während die anderen viele Handyfotos machen. Wie Dimitri am Morgen mit so einer aufmunternden, vollen Stimme „Guten Morgen“ antwortete. Wie jemand am Montagmorgen Bowies „Heroes“-Platte in den Globus getragen hatte.

Oder wie am kühlen Morgen Richie Hawtin und Ricardo Villalobos da auf den Steinen vor dem Gebäude zusammensaßen, manchmal schwiegen, manchmal sprachen. Die sind ja auch so ein Rolemodel für Männerfreundschaften. Und wie man dann plötzlich nicht mehr konnte gegen sieben, eine letzte Zigarette, dann nach Hause. Dann wieder aufstehen. Um halb zwei wieder beim Tresor. Gerade war Schluss. S., die ich zuletzt vor zwölf Jahren gesehen hatte, stand da mit ihrer kleinen Tochter. Sie lebt nun in Manila und hatte das Ende miterlebt. Dimitri hätte CDs verschenkt und noch eine kleine Rede gehalten und alle hätten „danke“ gerufen. Beim E-Werk war „From Disco to Disco“ das letzte Stück gewesen: hier war’s „Heroes“. Aber vielleicht war auch noch was danach gekommen.