: Nassforscher Außenseiter
In nahezu allen Ranglisten zur Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2012 liegt Moskau mit seinem Konzept der „Spiele am Fluss“ auf dem letzten Platz – nur im eigenen Ranking nicht
AUS BERLIN MARKUS VÖLKER
Seit einiger Zeit fährt die Moskauer Bewerbung im Kreis. Auf dem Formel-1-Rennwagen von Jordan prangt das Motto „Moscow 2012“. Es ist ein bemerkenswerter Coup, der den olympischen Ringkämpfern im Nadelstreifenanzug da gelungen ist, auch wenn die Aufschrift nur eine unter vielen Werbebotschaften auf dem Boliden ist. Jordan-Teamchef Alex Shnaider, ein gebürtiger Russe, ist in Kanada zu Geld gekommen. Er wolle „das progressive Image“ von Russland vertreten, verkündete er bei der Vorstellung der schnellen Autos. Diese Begründung dürfte den Moskowitern gut gefallen haben, denn Waleri Schanzew, Chef der Bewerbung um die Sommerspiele, sagt nichts wesentlich anderes, wenn er vor Journalisten redet.
Anlässlich des in Berlin tagenden Kongresses „Sportaccord“, einer Elefantenrunde internationaler Sportfunktionäre, sprach Schanzew davon, dass Russland der Welt sein „neues Gesicht“ präsentieren wolle. „Wir werden beweisen, dass wir die besten Spiele überhaupt veranstalten können. Gegenüber 1980 sind wir ein komplett anderes Land.“ Beobachter sind sich da nicht so sicher, ist Russland unter Präsident Wladimir Putin doch zum autokratischen Stil zurückgekehrt. Da hilft es eher wenig, wenn Putin, ehedem Leningrader Stadtmeister im Judo, mit seiner sportlichen Vergangenheit kokettiert und sich als Herzensfreund der fünf Ringe geriert.
Moskau tritt im Wettlauf um die Gunst der olympischen Gesellschaft gegen Paris, London, Madrid und New York an – gegen Metropolen mit westlichem Flair. Moskau indessen wurde von einem Kolumnisten der Zeitung Wedemosti neulich in die Nähe von Harare gerückt, der Hauptstadt von Simbabwe. Das ist natürlich übertrieben, aber in nahezu allen Hitparaden und Ratings, die in diesen Tagen kursieren, wird Moskau auf dem letzten Platz geführt – was Unmut unter den Moskauer Handlungsreisenden erregt. Bürgermeister Juri Luschkow, ebenfalls in Berlin zugegen, kann unwirsch werden, wenn er auf die mutmaßliche Einstufung Moskaus angesprochen wird. Die anderen hätten ja nur Angst vor der Stärke Moskaus, kontert er. Noch gereizter reagiert Russlands NOK-Chef Leonid Tigaschew, der so gar nicht einsehen will, warum „das hervorragende Konzept“ der Stadt nicht greifen solle. Kein offizielles Dokument des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) belege diesen Status, echauffiert er sich.
Moskau wirbt nassforsch mit „Spielen am Fluss“. An der Moskwa sollen 65 Prozent der Wettkämpfe stattfinden und Wassertaxis für den Transport von Sportstätte zu Sportstätte sorgen. Was für die Stadt spricht, ist, dass die Millionenmetropole der einzige sentimentale Kandidat unter den Anwärtern ist. Diese Fußnote ist nicht zu missachten, wie bei der Wahl Leipzigs zum deutschen – und früh gescheiterten – Olympiakandidaten zu sehen war. Schon einmal, 1980, reiste der olympische Tross in Moskau an. Viele Nationen fehlten seinerzeit, weil die Sowjetunion gerade in Afghanistan einmarschiert war. Die USA unter Präsident Jimmy Carter beschlossen einen Olympiaboykott. Dreißig Länder schlossen sich an. Gegen den Willen ihrer Regierungen gingen die britischen, französischen und italienischen Athleten an den Start.
Für Moskau waren es nur halbe Spiele. „Diese Spiele zählen für uns nicht, wir haben damals sehr gelitten“, sagt Schanzew. Es ist noch immer so etwas wie eine Kränkung vorhanden, eine Verärgerung darüber, dass nicht die ganze Welt des Sports kommen wollte. Moskau hat etwas zu beweisen. „Wir hätten es verdient, wir haben so viele Opfer für die olympische Bewegung gebracht“, sagt Schanzew. Auch 1992 in Barcelona hätten die russischen Athleten Opfer gebracht, als das GUS-Team nur unter der olympischen Flagge eingelaufen sei.
Etwa zwei Milliarden Dollar werden bei Erteilung des Zuschlages am 6. Juli durch das IOC auf der Vollversammlung in Singapur fließen. Auf dem Gelände eines stillgelegten Silikatwerkes soll das olympische Dorf entstehen. Die Bevölkerung soll angeblich zu neunzig Prozent hinter der Bewerbung stehen. Auf der Website der Prätendenten wird mit der Zahl von 1.122.957 eingetragenen Sympathisanten geworben. Nichtsdestotrotz hat Moskau mit Bedenken zu kämpfen. Sie kreisen um die Frage: Kann die Sicherheit angesichts des Konflikts mit Tschetschenien gewährleistet werden? Schanzew stellt in Aussicht, man werde 37.000 Sicherheitskräfte speziell trainieren.
Das IOC hat sich indes ein eigenes Bild vom Angebot der Bewerber gemacht. Im Februar und März reiste eine 13-köpfige Bewertungskommission unter dem Vorsitz der Marokkanerin Nawal El Moutawakel in die fünf Städte; El Moutawakel gewann bei den Sommerspielen 1984 in Los Angeles die Goldmedaille über 400 Meter Hürden. Sie wird Anfang Juni einen Prüfbericht vorlegen, der dem IOC als Empfehlung dient. Dann haben es die Moskowiter schwarz auf weiß, wo sie liegen – am Ende oder doch aussichtsreich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen