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Archiv-Artikel

Bürokratisch korrekt abgewickelt

NS-Zeit Die Rolle des Bremer Finanzressorts als Organisator und Nutznießer der Ausbeutung der jüdischen Bevölkerung wird nun von Uni-Historikern untersucht – ebenso das Ausmaß der privaten Bereicherung

Das Finanzressort will seine historische Rolle bei der wirtschaftlichen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung erforschen. Das in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaft der Bremer Universität gestartete Projekt umfasst auch die Arbeit der Behörde in Bezug auf „Wiedergutmachungen“. Wegen seiner Zuständigkeit für Anträge aus Übersee war Bremen das bundesweit größte „Ausgleichsamt“. Hintergrund ist die Auswanderung über Bremerhaven, wo die Flüchtlinge oft ihren letzten Besitz abgeben mussten.

Häufig seien dieselben Beamten für Enteignung und Wiedergutmachung zuständig gewesen, sagt Finanz-Staatsrat Henning Lühr, der das Projekt initiiert hat. Größter Nutznießer der Enteignungen sei der Fiskus selbst gewesen, betont Jaromír Balcar von der Universität. Aber auch die Vielzahl privater Profiteure habe Rückgaben nach 1945 sehr erschwert – Balcar spricht von einem „regelrechten Bereicherungswettbewerb“. Lühr kennt die spätere Verdrängungshaltung: „Das sind alles Lügner und Betrüger“, habe er als junger Beamter im Ausgleichsamt Lüneburg von den Älteren gehört.

Als Staatsrat will Lühr die Forschung zur Sensibilisierung der Behörden-Azubis nutzen. Schon jetzt sei das Staatsarchiv Pflichtstation während der Ausbildung. Dort finden sich erschütternde Zeugnisse von KZ-Überlebenden, denen nach 1945 die Vorlage einwandfreier Besitzdokumente abverlangt wurde. „Damit wurde schon wieder eine rechtsstaatliche Normalität vorgegaukelt“, sagt Balcar. Auch die Enteignung habe durch bürokratische Penibilität den Charakter einer Scheingesetzlichkeit erzeugt.

Laut Finanzsenatorin Karolin Linnert ist die Aufarbeitung der der Institutionsgeschichte in der NS-Zeit „für moderne rot-grüne Zeitgenossen eine Selbstverständlichkeit“. Dass dies eine „Standard-Herangehensweise“ sein müsse, entspräche „der Haltung des gesamten Senats“.

Die Historiker planen nun eine Ausstellung sowie einen Sammelband, bei ausreichender Quellenlage soll ein DFG-Projekt folgen. Zunächst findet am 23. und 24. Februar ein wissenschaftlicher Workshop samt öffentlicher Vorträge zum Thema statt.  Henning Bleyl