: Ist Solarstrom überfördert?JA
ENERGIE Wer sich Solarzellen auf das Dach baut, erhält jede Menge Fördergeld – und dafür zahlen alle Stromverbraucher
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Claudia Kemfert, 43, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
Deutschland und Europa werden den Anteil erneuerbarer Energien auf 80 Prozent in den kommenden vier Jahrzehnten erhöhen. Die Solarenergie ist die Zukunftstechnologie. Es ist richtig, dass in Deutschland bisher ein Großteil der Förderung der erneuerbaren Energien von jährlich 14 Milliarden Euro in den Solarstrom geflossen ist und der Anteil an der Stromproduktion mit 4 Prozent vergleichsweise gering ist. Es ist auch richtig, dass ein Großteil der damit verbundenen Erhöhung der Ökostromumlage mit einer Erhöhung des Strompreises auf mittlerweile 3,5 Cent pro Kilowattstunde einhergeht, was knapp 9 Prozent des Strompreises ausmacht. Es macht Sinn, dass man den Solarstrom fördert. Zum einen, da sich eine neue Technologie entwickelt hat, die einen Wettbewerbsvorteil und neue Arbeitsplätze schafft. In Deutschland sind 2010 knapp 40.000 Arbeitsplätze in der Solarbranche entstanden, die Unternehmen sind heute weltweit führend. Zum anderen werden Förderungen deutlich gesenkt. Da die Kosten massiv gesunken sind, müssen die Vergütungssätze und somit die Kosten für die Verbraucher reduziert werden. Es geht beim Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht um eine Dauersubventionierung, sondern darum, die Technologien bis zur Marktreife finanziell zu unterstützen. Durch den internationalen Wettbewerbsdruck werden die Kosten weiter sinken. Daher ist es wichtig, dass sich deutsche Unternehmen verstärkt dem internationalen Markt öffnen und Marktanteile sichern.
Holger Krawinkel, 55, ist Abteilungsleiter beim Verbraucherzentrale Bundesverband
Welche Zukunftstechnologie kann einen derartigen Preisverfall feiern wie die Photovoltaik? Doch anstatt sich über den Erfolg – auch der Förderpolitik – zu freuen, hält die Solarlobby im Verbund mit dem Umweltminister an einer reflexartig daherkommenden Subventionsmentalität fest. Zum Ritual trägt wie eh und je und verlässlich gut auch der Wirtschaftsminister bei, mit Quoten- und Deckelforderungen. Dabei geht es nur darum, die Vergütungen im Sinne des Erneuerbare-Energien-Gesetzes an die Kostenentwicklung anzupassen. Doch mit dieser vergleichsweise einfachen mathematischen Aufgabe – es reicht die Beherrschung des Dreisatzes – sind die beiden Minister überfordert. Derzeit wird die Einspeisung von einer Kilowattstunde Solarstrom mit bis zu rund 24 Cent für Hausdachanlagen und bis zu rund 18 Cent für Freiflächen vergütet. Nach den neuerlichen Preisstürzen für Solarmodule würden Einspeisetarife von etwa 15 Cent je Kilowattstunde für Hausdachanlagen ohne zusätzliche Vergünstigung für den Eigenverbrauch und 10 Cent je Kilowattstunde für Freiflächenanlagen ausreichen. Bei einer solchen Vergütung rückt die Photovoltaik auf Land in die Nähe von Windanlagen an Land. Wenn dann noch die Planung von Freiflächenanlagen allein in der Hand von Kommunen und Regionen läge, könnte die Diskussion über solare Kostentreiberei für beendet erklärt werden.
Thomas Ebert, 49, ist Ingenieur und hat die Frage auf taz.de kommentiert
Die Förderung der Solaranlagen ist ein gewaltiges Umverteilungsprogramm von unten nach oben. Wie Jürgen Großmann schon sagte: Der Billigjobber aus Moabit finanziert die Solaranlage des Zahnarztes vom Tegernsee! Die großen Stromkonzerne sind mit ihrer Investitionskraft schon an sehr vielen Projekten beteiligt, ihre Marktmacht wird durch die Solarförderung kaum eingeschränkt. Wenn schon Milliarden Fördergelder verbraten werden sollen, dann bitte in die Entwicklung wirtschaftlicher, für die erneuerbaren Energien unbedingt notwendiger Stromspeicher! Ein Ausbau der Erneuerbaren ohne entsprechende Entwicklung der Netz-Infrastruktur ist ein extrem teurer Irrweg. Wird dieser Weg weiter gegangen, sind Blackouts unvermeidbar.
NEIN
Bärbel Höhn, 59, ist stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag
Die Solarförderung ist eine Erfolgsgeschichte. Dank ihr gibt es schon über eine Million Solaranlagen auf deutschen Dächern – Weltrekord! Immer mehr Verbraucher erzeugen einen Teil ihres Stroms selbst und emanzipieren sich so von Stromkonzernen, Atomkraft und Kohle. Zugleich machen technischer Fortschritt und Massenfertigung die Solarenergie immer wirtschaftlicher. Mitte 2012 wird eine Kilowattstunde Sonnenstrom fast 60 % weniger kosten als 2008. Keine andere Form der Energieerzeugung kann solche Preissenkungen vorweisen. Es macht Sinn, diesen positiven Trend durch weitere berechenbare Absenkungen der Solarförderung fortzusetzen. Um den Ausbau zu verstetigen, sollte die Degression durch häufigere, über das ganze Jahr verteilte Kürzungsschritte erfolgen. Das verhindert die Art von Torschlusspanik am Jahresende, die den PV-Ausbau 2011 auf überzogene 7,5 Gigawatt hochgetrieben hat. 5 GW wären für 2012 ein vernünftiges Ziel. Dagegen hätte eine Deckelung des Zubaus bei 1 GW, wie sie Minister Rösler will, desaströse Folgen. Der Solarmarkt würde crashen, Zehntausende Arbeitsplätze in Industrie und Handwerk vernichtet. Merkels Energiewende würde endgültig Makulatur.
Matthias Willenbacher, 42, ist Vorstand beim Energie-Projektentwickler juwi
Es ist eine Mischung aus Neid, Unwissenheit und politischem Kalkül, was da derzeit unter dem Schlagwort „Solarbashing“ durch die deutsche Medienlandschaft geistert. Die Wahrheit sieht dagegen ganz anders aus: Solarenergie wird in absehbarer Zukunft die weltweit wichtigste Art der Energieerzeugung sein. Sie ist für jeden Menschen auf unserer Erde anwendbar. Von großen Freiflächen-Kraftwerken im Herzen Europas bis zur kleinen PV-Anlage auf dem Dach einer afrikanischen Schule. Dank eines enormen technischen Fortschritts wird Sonnenstrom immer preiswerter. Ich habe vor zehn Jahren stolze 7.500 Euro für meine erste Solaranlage bezahlt. Heute kostet sie ein Fünftel davon. Dieser Entwicklungssprung war nur möglich, weil kluge und weitsichtige Politiker die Förderung mit Hilfe des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) beschlossen haben. Es wäre kurzsichtig, ja fatal, diesen dynamischen Prozess jetzt abrupt zu stoppen. Zumal der Stromkunde nur marginal entlastet würde, da alle bisherigen Investitionen Bestandsschutz genießen. Gerade mal 7 Euro pro Monat kostet den Durchschnittshaushalt der Sonnenstrom. Das sind zwei Latte macchiato im Pappbecher. Bei weiter gefördertem Zubau kämen ein paar Cent dazu – Preis eines Extraschusses Vanillesirup. Das sollte uns eine lebenswerte Zukunft doch wert sein.
Katharina Reuter, 35, leitet die Geschäftsstelle der klima-allianz Deutschland
Die Solarvergütung sinkt seit Jahren kontinuierlich, weil die Produktion von Solarstrom billiger wird. Und dass trotz Kürzungen der Zuschüsse die Zahl der installierten Anlagen steigt, ist doch ein Signal dafür, dass die Menschen selber die Energiewende in die Hand nehmen und sauberen Strom erzeugen wollen. Innerhalb eines Jahres wurden so Kapazitäten zur Stromerzeugung in Größenordnung eines Atomkraftwerks aufgebaut. Aber die Branche braucht auch Planungssicherheit! Ständige Vorstöße zu schnelleren und heftigeren Senkungen schaden mehr, als sie nutzen. Die klima-allianz weist die Ideen des Wirtschaftsministers Rösler scharf zurück, das EEG durch neue Instrumente zu ersetzen. Die energiepolitischen Milchmädchenrechnungen von Rösler sind unhaltbar. Das EEG wird weltweit als Vorbild für einen Umbau des Energiesektors angesehen und genutzt. Wer eine echte Energiewende will, muss nun mit ruhiger Hand den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben. Damit haben sich bisher weder die FDP noch das Wirtschaftsministerium hervorgetan. Auf die sollte man deshalb auch künftig nicht hören.