: Kanther hadert mit dem Rechtsstaat
Das Wiesbadener Landgericht verurteilte den ehemaligen Bundesinnenminister Kanther gestern zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung wegen Untreue. Es glaubte ihm seine Unkenntnis über die CDU-Schwarzkassen nicht. Kanther kündigt Revision an
AUS WIESBADEN HEIDE PLATEN
Exbundesinnenminister Manfred Kanther kam gestern Vormittag einige Minuten verspätet in den Saal 315 des Wiesbadener Landgerichts. In Sekundenschnelle verschwand allerdings seine anfangs gute Laune, als der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer, Rolf Vogel, das unerwartet hohe Strafmaß verkündete: ein Jahr und sechs Monate Haft, drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, für gemeinschaftliche Untreue zu Lasten der Bundes- und der hessischen Landes-CDU. Kanther soll außerdem 25.000 Euro als Bewährungsauflage an die Staatskasse zahlen.
Den ehemaligen Wirtschaftsprüfer der Partei, Horst Weyrauch, verurteilte es zu einer Geldstrafe von 27.200 Euro. Beide Angeklagten sind damit vorbestraft, beide müssen die Kosten des Verfahrens tragen.
Kanther hörte das Urteil mit vorgerecktem Kinn und versuchte angespannt, Haltung zu bewahren. Gleich nach der fast dreistündigen Urteilsbegründung stürmte er aus dem Gerichtssaal und gab vor der Tür seine Stellungnahme ab. Er habe sich um keinen Pfennig bereichern wollen, erklärte Kanther zum wiederholten Mal. Er habe nur Gutes für seine Partei gewollt, sie „aus der Flick-Affäre heraushalten“ und Parteispender schützen wollen. „Das Urteil ist völlig überhöht“, meinte Kanther gekränkt. Er habe zwar einen Fehler gemacht, aber dafür die politische Verantwortung übernommen und im Januar 2000 seine Ämter niedergelegt. Das sei völlig ausreichend. „Ich bin zuversichtlich, dass der Bundesgerichtshof dies alles zurechtrücken wird“, sagte Kanther. Deshalb werde er Revision einlegen.
Das Gericht befasste sich gestern noch einmal ausführlich mit der Geschichte der Schwarzen Kassen der hessischen CDU seit dem Jahr 1978. Seither war das Parteivermögen unter der Ägide des ursprünglich mitangeklagten, wegen Krankheit vorerst ausgeschiedenen, ehemaligen Schatzmeisters Casimir Prinz Wittgenstein kontinuierlich angewachsen und von diesem auf geheimen Konten bei der Frankfurter Metallbank zwischengelagert worden. 1983 schafften der Schatzmeister, Kanther und Weyrauch über 20 Millionen Mark in die Schweiz. Durch die Flick-Affäre gerieten Parteispenden in Verruf und es drohte eine Änderung des Parteiengesetzes. Das hätte die Offenlegung der Herkunft des Geldsegens bedeutet.
Diese Vermögensentziehung sei an sich, so die Kammer, schon ein Schaden gewesen, weil niemand außer den Transakteuren davon etwas ahnte. Außerdem hätten sie von Anfang an gewusst, dass die Rechenschaftsberichte der Partei von nun an Jahr für Jahr falsch sein würden. Dass das strafbar gewesen sei und eine Vermögensgefährdung bedeutet habe, hätten sie spätestens seit 1983 bewusst in Kauf genommen.
Die Schuld von Kanther wiege auch deshalb schwer, weil er genau gewusst habe, was er tat. Er habe das 1994 noch einmal verschärfte Parteiengesetz, das er als Bundesinnenminister selbst unterzeichnete, sehr genau gekannt. Das Gericht glaubte Kanther nicht, dass er nur am Anfang von Weyrauch und Wittgenstein über die Schwarzkassen informiert worden sei und sie für aufgebraucht gehalten habe. Schließlich habe er als hessischer CDU-Landesvorsitzender die von Wittgenstein und Weyrauch organisierten, getarnten Rückflüsse des Geldes sehr wohl wahrgenommen.
Er aber habe geschwiegen und sich damit durch Unterlassen schuldig gemacht. Spätestens bei der Übergabe des Parteivorsitzes an seinen Nachfolger Roland Koch 1998 hätte er die Pflicht gehabt, diesen zu informieren. Auch damit hätte er den wegen der gefälschten Rechenschaftsberichte verhängten Thierse-Bescheid über 21 Millionen Euro Rückzahlung der Parteienfinanzierung abwenden können.
Die hohe Strafe sei auch durch die „enorme Höhe“ des Schadens begründet. Der lasse sich nicht gegen in der Schweiz erzielte Zinsgewinne schönrechnen, wie Kanther das während des Verfahrens immer wieder versucht habe. Er wolle das, so Vorsitzender Richter Vogel, „nicht gerade eine Milchmädchenrechnung nennen“, aber Gewinne aus entzogenen, somit veruntreuten Vermögen könnten nun einmal nicht auf die Schadenssumme gutgeschrieben werden. Dazu, dass den Angeklagten nun Privatklagen sowohl der Bundes-CDU sowie der hessischen CDU und Rückforderungen des Finanzamtes für das versteckte Geld drohen, sagte Manfred Kanther gestern nichts.