: Völkermordverdächtige auf der Flucht
2.000 Menschen, die in Ruanda vor Dorftribunalen zur Aufklärung des Völkermords von 1994 aussagen sollten, sind stattdessen ins Nachbarland Burundi gegangen. Die dortigen Behörden und das UN-Flüchtlingshilfswerk leisten ihnen Hilfe
VON DOMINIC JOHNSON
In ganz Ruanda finden seit März Dorfgerichte statt, um den Völkermord von 1994 an annähernd einer Million Menschen aufzuarbeiten. Überlebende, Zeugen und mutmaßliche Täter werden in diesen „Gacaca“-Gerichten unter den Augen der Gemeinde miteinander konfrontiert, und dann sprechen Laienrichter Urteile. Bis zu eine Million Verdächtige – von acht Millionen Einwohnern – sollen vor diesen Dorftribunalen erscheinen. Das bringt Ruanda erhebliche Spannungen. Und nun kommt eine internationale Krise dazu: Rund 2.000 Ruander, die vor Gacaca-Tribunalen aussagen sollten, sind stattdessen aus dem Süden des Landes nach Burundi geflohen.
1.152 Flüchtlinge haben die burundischen Behörden im Grenzort Marangara registriert, 939 weitere in Ntega, darunter Hunderte Kinder, von ihren Eltern mitgenommen. Sie kampieren teils unter freiem Himmel, teils in Schulgebäuden. Diese Orte befinden sich in der nordburundischen Provinz Ngozi, eine Hochburg der burundischen Hutu-Rebellen, wo die meisten Tutsi schon 1993 vertrieben oder getötet wurden. Die Hutu-Tatverdächtigen aus Ruanda fühlen sich hier offenbar sicher. Gegenüber lokalen Journalisten dementieren manche nicht einmal, dass sie am Völkermord beteiligt waren. Aber „die Gacaca-Gerichte sind ein Instrument der Tutsi, um die Hutu zu unterdrücken“, lässt sich einer zitieren.
Für Ruanda sind die Geflohenen einfach flüchtige Angeklagte und sollten keinen Schutz genießen. „Diese Ruander fliehen vor der Justiz ihres Landes“, erklärte Ruandas Botschafter in Burundi, Jean-Pierre Bizimana.
Aber Burundis Regierung und die Hutu-Provinzverwaltung von Ngozi behandeln die Ruander als politische Flüchtlinge. Über ein Transitlager, das ansonsten burundische Rückkehrer aus Tansania aufnimmt, werden sie in ein im Aufbau befindliches Flüchtlingslager im Südwesten Burundis gebracht. Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR leistet dabei seit Montag Hilfe. Aus „Sicherheitsgründen“ könne man den Leuten erst helfen, wenn sie die Grenzregion verlassen hätten, sagte das UNHCR-Büro in Burundis Hauptstadt Bujumbura und erklärte: „Die Mehrheit flieht aus Angst, vor den Gacaca-Gerichten auftreten zu müssen. Aber andere sagen, sie würden von ihren Landsleuten unterdrückt.“
Schon 1994 nach dem Sturz des für den Völkermord verantwortlichen Regimes in Ruanda eilte das UNHCR im damaligen Zaire (heute Kongo) fliehenden Hutu aus Ruanda zu Hilfe – nachdem die UNO nicht gegen den Genozid an Ruandas Tutsi tätig geworden war. Bis heute herrscht zwischen Ruanda und der UNO ein großes Misstrauen. Das dürfte jetzt wieder aufleben. Zwar hat Burundis Regierung versprochen, Flüchtlinge nach Ruanda auszuliefern, sollte sich herausstellen, dass sie 1994 Morde begangen haben. Aber wer das feststellen soll, blieb unklar. Und schon streuen radikale Hutu-Kreise in Burundi Gerüchte, „als Hirten verkleidete Tutsi mit automatischen Waffen“ sickerten aus Ruanda nach Burundi ein.