piwik no script img

Archiv-Artikel

Neuerdings sozialdemokratisch

Die SPD-Linke lobt Franz Münteferings Kapitalismuskritik. Aber Handlungsspielräume sieht sie auch nicht – ohne Bundesrat und mit EU

VON ULRIKE WINKELMANN

Einmal angenommen, der SPD-Chef Franz Müntefering macht mit seiner Kritik am marodierenden Großkapital nicht bloß Wahlkampf.

Einmal angenommen, die SPD-Spitze erkennt tatsächlich gerade jetzt, dass die Umsetzung von Arbeitgeberwünschen nicht notwendig zu mehr Jobs führt.

Einmal angenommen, bei der SPD arbeiten wirklich Menschen ernsthaft an einer programmatischen Auseinandersetzung mit dem „Kapitalismus“ und wollen die Schwachen vor ihm schützen.

Was könnte eine neuerdings wieder sozialdemokratische SPD dann jetzt tun?

„Es geht um Anerkennung“

Nicht viel bis gar nichts, stellte sich gestern heraus. Die Parlamentarische Linke in Gestalt von Fraktionsvizechef Michael Müller und dem Außenpolitiker Gernot Erler – ergänzt durch die derzeit noch außerparlamentarische Linke Andrea Nahles – begrüßten erneut und einhellig Franz Münteferings Äußerungen der vergangenen Tage.

Der SPD-Vorsitzende hatte unter anderem erklärt: „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ Doch gefragt, was hieraus konkret etwa bis zur Bundestagswahl 2006 folge, fiel Müller und Erler gestern nichts ein.

Müller sagte: „Wir diskutieren mehr die Zukunftsfragen. Wir führen weniger die Schlachten, die heute zu schlagen sind.“ Letzteres erklärte er zur sauren Aufgabe der Gewerkschaften. Erler sagte: „Es geht nicht darum, dass sich Regierungsprogramme jetzt ändern sollen. Es geht um die Anerkennung“ dessen, was die Regierung in den vergangenen sechs Jahren für die Arbeitgeber getan hat – leider ohne Gegenleistung.

Einzig Nahles nannte die beiden Punkte Mindestlohn und Steuern. Man könne auf internationaler Ebene „steuerlich stärkere Akzente setzen“, erklärte sie. Die Mindestbesteuerung von Unternehmen sei auf EU-Ebene zu vereinheitlichen, Steuerschlupflöcher müssten gestopft werden. Für Mindestlöhne müssten „nationale Handlungsspielräume ausgenutzt werden“.

Nun ist ohne Mehrheit im Bundesrat auch der nationale Handlungsspielraum einer Regierung bloß ein Vorschlagsspielraum. Wenn Rot-Grün die Wahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai verliert, wird auch im wichtigen Vermittlungsausschuss eine Unionsmehrheit sitzen – was die Gesetzgebung noch weiter verkomplizieren würde. Welchen Grund sollten CDU und CSU haben, auch nur ein einziges rot-grünes Gesetz durchzuwinken? Die Union wird sich auf der Blockiererbank lümmeln, bis sie 2006 eine zerschlagene und selbstzerfleischte Koalition in die Opposition schicken darf. Auch SPD-Linke, die – im Unterschied etwa zu Michael Müller – noch gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV eingetreten sind, sehen bis 2006 kaum Chancen für sozialdemokratische Profilierung. „Für einen Kurswechsel ist der Raum nicht da“, sagt etwa der Steuerpolitiker Florian Pronold. Wie Nahles verweist er auf die mühselige Durchsetzung einer einheitlichen Unternehmensbesteuerung auf europäischer Ebene.

Ein weiterer Punkt wäre der Versuch, „leistungslose Einkommen“, etwa den Wertzuwachs eines Grundstücks in bester Lage, zu versteuern. „Die weltbewegenden neuen Vorschläge gibt’s aber nicht“, erklärt Pronold etwas müd. Es gehe nun halt um den „Kampf um die Köpfe“. Stellt sich die Frage, ob sich die Köpfe eineinhalb Jahre damit hinhalten lassen, dass zu Hause im Zweifel die CDU Schuld – und für alle weiteren Probleme die EU zuständig ist.

In der SPD hat sich mittlerweile die Ahnung verbreitet, dass Europa nicht nur Verheißung und Absatzmarkt, sondern auch ein Anschlag auf deutsche Lohn- und Sozialstandards sein könnte.

Die Gewerkschaft vorgeschickt

Die Parteispitze überließ es jedoch zum Beispiel zunächst der Dienstleistergewerkschaft Ver.di und der als niedliche Linksabweichlerin isolierten Abgeordneten Sigrid Skarpelis-Sperk, sich über die kommende EU-Dienstleistungsrichtlinie aufzuregen.

Dann erst wetterte auch Bundeskanzler Gerhard Schröder gegen „Lohndumping und Sozialdumping“. Wie ernst es der SPD-Führung mit dem „europäischen Sozialstaatsmodell“ ist, erkennt man daran, dass Mitte 2004 der niedersächsische Oppositionsführer Sigmar Gabriel mit dem Vorsitz einer entsprechenden Kommission betraut wurde.

Dies geschah dem Vernehmen nach, um dem nach wie vor als SPD-Nachwuchstalent gehandelten Gabriel eine inhaltlich anspruchsvolle Plattform zu geben. Man hat seither nichts mehr davon gehört.

Einmal angenommen, die SPD macht mit der Kritik am marodierenden Großkapital nicht bloß Wahlkampf – dann wird sie bis 2006 noch viele, viele neue Worte dafür finden müssen, um die Leere zwischen den Gesetzen auszufüllen.