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Archiv-Artikel

„Uruguay hat eine Schwäche für Plebiszite“

Wo soziale Konflikte aufbrechen, ist das Radiokollektiv Testimonios aus Uruguay nicht fern. Testimonios-Mitglied Graciela Salsamendi sucht nun Mitstreiter in Köln. Und erklärt, warum in Uruguay 65 Prozent gegen Privatisierung sind

taz: Frau Salsamendi, in Uruguay haben sich 65 Prozent der Bevölkerung in einem Referendum gegen eine Privatisierung der Wasserversorgung ausgesprochen. Wie haben es die Privatisierungsgegner geschafft, so eine große Mehrheit hinter sich zu bringen?

Graciela Salsamendi: Die Uruguayer haben eine Schwäche für Plebiszite. Es gab viele Volksabstimmungen in den letzten Jahren, die alle gewonnen wurden. Die Bevölkerung tendiert zu toleranten, pazifistischen Positionen. Und wir sind sehr rational und haben verstanden, um was es geht. In Uruguay gibt es schon ein Gebiet mit privatisierter Wasserversorgung...

...welche Auswirkungen hatte dort die Privatisierung?

Zum Teil hatten die Anwohner kein Wasser mehr. Im ganzen Land betragen die Gebühren für Wasser 160 Pesos. Dort mussten die Menschen plötzlich 2.000 Pesos Grundgebühr bezahlen – also ohne einen einzigen Tropfen Wasser verbraucht zu haben.

Wird das Privatisierungsverbot nun wie gefordert in die Verfassung aufgenommen?

Das Plebiszit fand wie die Wahlen am 31. Oktober statt, am 8. November wurde eine Änderung der Verfassung angekündigt. Bis heute ist nichts passiert, obwohl in der Regierung zum Teil Linke sind. Wahrscheinlich wollen sie Investoren keine Angst machen.

Als Journalistin haben Sie viel über die Keramik-Fabrik Zanon in Argentinien berichtet, die die Arbeiter seit drei Jahren selbst verwalten. Wie wichtig ist Zanon für die sozialen Bewegungen?

Sehr wichtig. Zanon wurde ja nach dem Bankrott von den Arbeitern übernommen und produziert wieder, mittlerweile im vierten Jahr. In der besetzten Fabrik waren 260 Arbeiter beschäftigt, heute sind es 460. Jeder verdient dasselbe Gehalt von 800 Pesos. Es ist phänomenal: Die Arbeiter haben die Fabrik und ihre Arbeitsplätze gerettet. Sie haben gelernt, ohne Besitzer, Leitung und Direktoren auszukommen. Sie verwalten, verkaufen, produzieren. Und Zanon ist keine kleine Fabrik.

Wie ist die aktuelle Lage?

Das Dramatische ist, dass diese korrupte politische Klasse in Argentinien dieselben Mittel benutzt wie die Diktatur. Im Frühjahr wurde die Frau eines Arbeiters entführt, verletzt und mit einer „Blutbotschaft“ nach Hause geschickt. Später wurde sie noch mal bedroht und geschlagen.

Sie arbeiten in Uruguay bei dem Radiokollektiv Testimonios. Wie arbeitet Testimonios?

Wir haben dieses Kollektiv 1987 gegründet. Wir wollten sehen, mit welcher Realität wir nach der Diktatur konfrontiert sind: Welche Konflikte gibt es, welchen Schaden hat die Diktatur hinterlassen? Die Deregulierung der Demokratie, die Deindustrialisierung sind heute unsere Hauptthemen. Wir machen Features fürs Radio, gehen in die Stadtviertel, Dörfer, Fabriken. Wir betreiben also Feldforschung, lassen die Leute erzählen und verstehen uns als Begleiter sozialer Bewegungen.

Jetzt sind Sie wieder zu Besuch in Köln...

...ja, ich habe von 1972 bis 1984 in Köln gelebt, als freie Journalistin beim WDR und als Redakteurin der Deutschen Welle in der Lateinamerikaabteilung.

Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Testimonios und Medien in Köln?

In Köln und in Berlin. Im Kölner Allerweltshaus zum Beispiel machen wir das Radioprojekt „alle welt on air“. Wir suchen Verbindungen, um Druck zu machen und etwas zu verändern.

INTERVIEW: DIRK ECKERT

Graciela Salsamendi referiert heute um 20 Uhr im Allerweltshaus über Uruguay nach den Wahlen (Körnerstr. 77-79)