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Archiv-Artikel

Verhaftungen, Todesmärsche, Vernichtung

Von JG

24. April 1915: Dieser Tag gilt allgemein als Beginn der Deportation, Vertreibung und Ermordung eines großen Teils der Armenier im Osmanischen Reich, weil an diesem Tag rund 600 Armenier in Istanbul verhaftet und später ermordet werden. Dabei handelte es sich um führende Mitglieder der armenischen nationalen Bewegung, die von der damaligen osmanischen Regierung verdächtigt wurden, mit dem russischen Kriegsgegner zu kollaborieren.

Der Auslöser: Zu den Verhaftungen in Istanbul, die dann in allen armenisch bewohnten Städten in Anatolien fortgesetzt wurden, kam es nach einem Aufstand der armenischen Bevölkerung am 20. April 1915 in Van, der einzigen Stadt in Anatolien, in der die Armenier mit 60 Prozent die Mehrheit stellten.

Die türkische Version: Die offizielle Version der Türkei ist, dass die armenische Bevölkerung vor allem aus Ostanatolien deportiert wurde, weil sie eine Gefahr gewesen sei: Sie hätte sich sich mit den vorrückenden russischen Truppen, in deren Reihen auch Armenier aus dem Kaukasus kämpften, verbünden und den osmanischen Truppen in den Rücken fallen können.

Die Rolle Deutschlands: Diese Version wurde damals auch vom mit den Osmanen im Ersten Weltkrieg verbündeten Deutschen Reich gestützt. Hohe deutsche Offiziere waren im türkischen Generalstab vertreten und über die Deportationen natürlich unterrichtet. Auch als verschiedene deutsche Diplomaten über das Grauen nach Berlin berichteten, entschied die Reichsregierung, die Verbündeten mit allen Mitteln zu unterstützen.

Die Todesmärsche: Die Deportationen, die in den damals zum Osmanischen Reich gehörenden Wüstengebieten Syriens und des Irak enden sollten, dauerten insgesamt zwei Jahre und gestalteten sich zu regelrechten Todesmärschen. Nach armenischen Angaben starben dabei über eine Million Menschen. Unmittelbar nach dem Krieg gab die noch amtierende osmanische Regierung die Zahl der Toten mit rund 800.000 an. Die heutige offizielle türkische Geschichtsschreibung spricht von rund 300.000 Toten.

Gezielte Vernichtung? Bis heute umstritten ist, warum genau die Menschen bei den Todesmärschen starben: ob sie von einzelnen Truppenteilen, kurdischen irregulären Milizen getötet wurden; ob sie während der Märsche an Hunger, Durst und Überanstrengung starben; oder ob es eine gezielte Vernichtungspolitik gab, die von der damaligen jungtürkischen Regierung in großem Stil vorbereitet worden war. Manche Historiker gehen auch davon aus, dass aus den zunächst als Deportationen begonnenen Vertreibungen erst angesichts der Niederlagen an der russischen Front eine regelrechte Vernichtungspolitik wurde. JG