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Archiv-Artikel

Der Antrag gegen das Verdrängen wird bald vergessen sein

Heute berät der Bundestag über einen Antrag, in dem die CDU/CSU den Völkermord an den Armeniern mit den EU-Ambitionen der Türkei verknüpft

CDU und CSU verhalten sich taktisch, die SPD ist beinahe untergetaucht und äußert sich selten zum Genozid an den Armeniern

BERLIN taz ■ Mehmet Ali Irtemcelik war erbost. Was den türkischen Botschafter in Berlin vor zwei Monaten aufbrachte, war der Antrag der Unionsfraktion im Bundestag zum Gedenken an „Vertreibungen und Massaker an den Armeniern“. Irtemcelik wirft in einem offenen Brief der Union vor, dieses Thema für innenpolitische Zwecke zu missbrauchen.

Wenn auch sein Ton schroff ist, scheint der ehemalige türkische Minister für Menschenrechte inhaltlich Recht zu haben: Hintergrund des Antrags dürfte es sein, dass CDU und CSU eine eventuelle EU-Vollmitgliedschaft der Türkei ablehnen. Das ist jedenfalls die einzige Erklärung für ihr plötzliches Interesse an dem Thema. Denn die Regierung Kohl lehnte ein solches Vorgehen stets ab. Die Haltung der Türkei stehe im Widerspruch zu der Idee der Versöhnung der Europäischen Union, deren Mitgliedschaft die Türkei anstrebe, heißt es dagegen im aktuellen Antragstext.

Heute wird im Rahmen der EU-Debatte um dieses Thema gekämpft. Andererseits gibt es den moralischen Druck, der wohl in allen Parteien zumindest einzelne Politiker bewegt.

So wird dem CDU-Abgeordneten Ruprecht Polenz selbst von politischen Gegnern ernsthaftes Interesse am Thema zuerkannt. Aber der Antragstext widerspricht diesem Ansinnen, in dem an keiner Stelle das Wort Genozid vorkommt. Ein Zeichen dafür, dass die Union die Türkei nicht verprellen will.

„Man will niemanden anklagen“, sagt der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Friedbert Pflüger, völlig im Einklang mit der CDU-Strategie gegen den türkischen Wunsch, in die EU zu kommen. Mit der von ihr erfunden „privilegierten Partnerschaft“ statt einer Vollmitgliedschaft will die CDU das Land aus der EU raushalten, aber doch so einbinden, dass es dem Westen nicht abhanden kommt.

In den Reihen der SPD ist der ehemalige DDR-Außenminister Markus Meckel der Vertreter der Moralisten. Er war der erste Sozialdemokrat, der öffentlich positiv auf den CDU-Antrag reagierte. Das Engagement des Theologen hält an – wahrscheinlich eben weil er Theologe ist.

Aber seine Partei verhält sich ähnlich taktisch wie die CDU/CSU. Die Sozialdemokraten sind fast untergetaucht und äußern sich selten über den Genozid. Ein Versuch, einen Gegenantrag einzubringen soll an Meinungsverschiedenheiten gescheitert sein.

Das stimmt den Bundeskanzler offenbar nicht unglücklich. Er möchte nämlich Anfang Mai in die Türkei reisen – in das Land also, dessen Mitgliedschaftsantrag in die EU Gerhard Schröder konsequent unterstützt. Da würden die Geister der vor 90 Jahren getöteten und vertriebenen Armenier ihn nur stören.

Nur die Grünen haben es bisher erstaunlich überzeugend geschafft, die Realpolitik mit den eigenen moralischen Ansprüchen in Einklang zu bringen. Die Grünen erwarben sich durch ihre jahrzehntelange kritische Haltung zur Türkei Kompetenz in Fragen, die die Türkei betreffen. Parteichefin Claudia Roth wird selbst in der Türkei als Landeskennerin gewürdigt. Über den Völkermord an den Armeniern redet sie mit einer anderen Betonung als die Unionspolitiker. „Uns interessiert das Thema vor allem, weil die Deutschen in diesen Genozid verwickelt sind und wir bisher versäumt haben, diese Geschichte aufzuarbeiten“, sagt sie. Auch eine Aufarbeitung derselben Geschichte in der Türkei würde den europäischen Ambitionen des Landes gut tun, meint Roth fast nebenbei. Vor allem armenische Intellektuelle in der Türkei unterstützen sie dabei und sehen Chancen, eine ernsthafte Geschichtsaufarbeitung in der Türkei anzufangen, wenn die Deutschen ein Beispiel geben.

Kurz nachdem der CDU/CSU-Antrag eingebracht wurde, meldete sich der außenpolitische Sprecher der Grünen, Fritz Kuhn. Der Gedenktag am 24. April solle genutzt werden, „um nach Wegen der Verständigung und Versöhnung in einem gemeinsamen Europa zu suchen“. Er werde zusammen mit der SPD rasch das Gespräch mit der Union suchen, um zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen.

Dazu kam es bisher nicht. Wahrscheinlich bleibt es auch in der Zukunft so. Denn niemand erwartet, dass der Bundestag nach der heutigen Debatte einen Beschluss fasst. Vermutlich, so heißt es ziemlich übereinstimmend aus den Parteien, werde die Debatte Ende Mai weitergeführt und dann in die Ausschüsse weitergeleitet. Um entweder einen überfraktionellen Beschluss vorzubereiten oder das Thema verstauben und vergessen zu lassen. CEM SEY