: Acryl, Kohle und Kreide auf taz
Die Schweizerin Antonia Bisig bemalt statt Leinwänden alte taz-Ausgaben mit Bildern von Menschen im Krieg. Fotos in der tageszeitung lieferten ihr auch die Gemälde-Motive. Ihre Werke sind nun im Abgeordnetenhaus und beim DGB zu sehen
VON MATTHIAS LOHRE
Es hat sich bislang niemand bei ihr beschwert. Obwohl Antonia Bisigs größte Provokation 3,1 mal 5,2 Meter groß ist und an einem denkbar prominenten Platz im Abgeordnetenhaus hängt. Genauer: am oberen Ende der imposanten, mit rotem Teppich bedeckten Freitreppe. Im scharfen Kontrast zur umgebenden Pracht steht Bisigs darüber prangendes Bild: „Erschießung serbischer Geiseln durch die Wehrmacht“, gestaltet nach einem 1941 im jugoslawischen Pancevo aufgenommenen Foto.
Das Bild ist das größte von acht Bisig-Werken, die das Abgeordnetenhaus bis zum 13. Mai ausstellt, alle versehen mit dem Hinweis „Acryl, Kreide und Kohle auf Zeitung“. Und die Zeitung, das sind alte Ausgaben der taz.
Ein Foto der Erschießungsszene sah Antonia Bisig vor zehn Jahren in der tageszeitung. Im Dauerstreit um die Wehrmachtausstellung sorgte die Aufnahme für Aufregung. „Damals beschäftigte ich mich mit Bildern vom Balkankrieg“, sagt die 53-jährige Künstlerin. „Das Foto brachte mich dazu, das Thema Krieg noch stärker in meine Arbeit einzubauen.“
Seither hat die gebürtige Schweizerin, die seit fast dreißig Jahren in Berlin lebt, auf der Basis von taz-Fotos ungezählte großformatige Bilder geschaffen. „Beim Anblick von Bildern der Balkankriege fühlte ich mich so taten- und hilflos. Mit meinen Werken versuche ich, diese flüchtigen Bilder dem Vergessen zu entreißen.“
Für ihre Werke leimt die in Neukölln lebende Künstlerin zuerst mehrere Zeitungsseiten über- und nebeneinander. Dadurch entsteht ein im Wortsinne vielschichtiger Hintergrund, den Bisig nach Belieben wieder ein- und zerreißen kann. Die Ausgaben der taz halten ihr immer noch eine weitere Seite hin. Die Idee zu den „taz-Kunstwerken“ kam ganz nebenbei. „Leinwand fand ich einfach zu edel und stilisierend für diese Motive“, sagt Antonia Bisig. „Und ziemlich teuer.“
Bisig recyclet ihre Zeitung gleich zweifach, denn auch die Foto-Motive für ihre Bilder stammen aus der taz. Oft scheinen zwischen den Kohlestrichen noch die Schlagzeilen und Bilder durch (siehe Abbildung). „Es ist aber Zufall, welcher Artikel sichtbar ist“, sagt Bisig. Die Titel der großformatigen Werke sind die taz-Beschreibungen unter den Ursprungsfotos: „Kaukasus 1942: Deutsche Soldaten besetzen ein Dorf“, „Nach dem Atombombenabwurf auf Nagasaki – Kind mit einem getöteten Baby“ oder „Ein Überlebender aus Srebrenica, der aus Angst sein Gesicht verhüllt hat, auf einer Pressekonferenz der Gesellschaft für bedrohte Völker Anfang November 1995 in Bonn“. Die lakonischen Worte verstärken die emotionale Wucht der Bilder noch.
„Etwas erstaunt bin ich schon, dass sich niemand bei mir beschwert hat“, sagt Bisig. Weder wegen des überlebensgroßen Bilds der Wehrmachts-Erschießungen noch wegen der anderen sieben Bilder, die das Abgeordnetenhaus derzeit ausstellt. Von negativer Kritik weiß auch der Kulturausschuss des Hauses nichts. Der Ausschuss betreut die Ausstellung „NORMALiTAeTEN“, die derzeit auch Werke dreier weiterer KünstlerInnen präsentiert.
Der subversive Einzug der taz in die Schaltzentralen der Macht bleibt kein Einzelfall. Ab heute hängen fünf von Bisigs Bildern im DGB-Haus an der Keithstraße unweit des Wittenbergplatzes. Die recycleten tazzen kann man natürlich auch kaufen: für einen Preis „im unteren fünfstelligen Euro-Bereich“.