Gott ist keine Entschuldigung

Irshad Manji, Essayistin und Autorin, hat es in ihrer kanadischen Heimat zur Celebrity in Sachen Multikulti gebracht. Nicht aber in Mitteleuropa – denn sie will einfach kein Opfer Amerikas sein. Darauf beharrt sie auch beim Besuch in Berlin

VON JAN FEDDERSEN

Sie sei leicht an ihren Haaren zu erkennen, sagt ein Mitarbeiter des Aspen-Instituts, strubbelig sei es, außerdem trage sie einen roten Pullover. Und der fällt tatsächlich auf im Hotel Adlon, einer doch sehr feinen Adresse am Brandenburger Tor: Irshad Manji wohnt dort während ihrer zwei Tage in Berlin und gibt Interviews. Abends wird sie sich im Grünen Salon der Volxbühne vorstellen, auch Rede und Antwort stehen „Oh nein“, bestreitet sie beim Gespräch die besorgte Nachfrage, ob sie unter Stress leide, womöglich den Jet lag nach der Ankunft aus Nordamerika noch nicht verkraftet habe, „nein, gestern war ich in Kopenhagen, eine sehr schöne Stadt, wunderbare Menschen.“

Sie sprudelt einfach drauflos. Ein Statement nach dem anderen, eine Botschaft folgt der nächsten. Sie hat, was sie zu sagen hat, in einem Buch gebündelt, es heißt „Der Aufbruch“ und verspricht im Untertitel ein „Plädoyer für einen aufgeklärten Islam“. Vor zwei Jahren ist es beim Eichborn Verlag erschienen – doch es hatte kaum Resonanz. Kann sie sich das erklären? „Ich bin nicht so vertraut mit den deutschen Verhältnissen“, sagt Irshad Manji, „aber ich schätze, dass man überall da, wo man mit dem islamischen Problem konfrontiert ist, mit Terrorismus, eher Interesse zeigt, in Spanien zum Beispiel oder in den Niederlanden.“ Der deutsche Buchtitel ist im Übrigen schon einer vermutlich hypersensiblen und gewiss gut gemeinten Selbstzensur zu danken, im englischsprachigen Original heißt er nämlich „The Trouble with Islam: A Wake-Up Call for Honesty and Change“ – also nix da mit Plädoyer.

Doch darf sie überhaupt mitreden, wenn es um den Islam geht? Sie sieht nicht gerade aus wie eine, deren Gott Allah heißt. Sie ist smart und beredt, wie es nur Nordamerikanerinnen vermögen, sie spricht auch abends, in der Volxbühne, nicht anders als morgens in der Hotellobby. Manji hat eine Botschaft – und diese trägt sie vor wie ein lang geübtes Stück Text: „Für die vielen Muslime, die bereits Risiken eingegangen sind“, heißt es in ihrem Buch als Widmung, und „für meine Großmutter Laila Nasser, die tolle Fragen stellt, wenn man sie lässt.“

Manji, Jahrgang 1969, kann tatsächlich erzählen, wie es ist, als Muslimin in einer säkularisierten Gesellschaft, „unter dem Dach der westlichen Werte wie Universalismus, Demokratie, Menschenrechte und die Gleichberechtigung der Frau“, aufzuwachsen. „Allah weiß, dass ich ein frommer Mensch bin“, sagt sie, „er kann mich verstehen.“

Sie erzählt, dass sie 1969 in Uganda geboren wurde, dass ihre Familie von dort nach Kanada floh, aus Angst, den Killern Idi Amins zum Opfer zu fallen. In Kanada selbst, nahe Toronto, ging sie auf eine katholische Schule – und von der weiß sie zu schwärmen, das ist auch nachzulesen: „Ich musste von meinem Glauben nicht abschwören – aber man motivierte mich, alle Seiten eines Glaubens zu sehen.“ Als sie später unter das Patronat einer muslimischen Schule kommen soll, sagt sie, sieht sie große Unterschiede: „Dort erzählte man mir, dass nur Muslime saubere, reine Menschen seien – dass sie wissen, was und wer Gott ist.“ Erklären konnten sie das nicht; Irshad Manji, das vorlaute Kind, wie sie sich lachend erinnert, traute „diesem Hokuspokus“ nicht.

Was sie damit meint? „Ich wollte wissen, ich wollte genau herausfinden, was und wie die Welt ist. Meine Eltern unterstützten mich, klar, sonst wäre das alles noch schwerer gewesen, aber viele meiner muslimischen Schwestern fanden, dass ich mich sehr weit vom Weg entferne, das müsse ich bestimmt irgendwann büßen. Na, das wollte ich natürlich nicht, aber ein kleiner Zweifel blieb: Bin ich verrückt – oder ist es eine Interpretation der Suren, die einen abergläubisch hält?“

Manji geht den Weg, ihren Weg, der jedenfalls, das sagt sie, „mir in arabischen Ländern nicht möglich gewesen wäre“. Sie ist fleißig, studiert und wird Journalistin, zunächst bei einer regionalen Tageszeitung, später im Fernsehen, wo sie eine wöchentliche Talksendung zu politischen Fragen auf Quote bringt. Mit ihrer Lebensgefährtin Michelle lebt sie in Toronto, „wo es quirliger, multikultureller zugeht als in New York, und das ist ziemlich großartig“.

Ihr Buch „The Trouble with Islam“ hat sie zu einer umstrittenen, beliebten und zugleich gefürchteten Figur gemacht: „Schmerzlich war mir nicht, dass viele Fundamentalisten unter den Muslimen mich schlecht machten, aber dass es viele Frauen taten. Die müssten doch wissen, dass in Kanada, überhaupt in der westlichen Welt, ihnen Wege offen stehen wie nirgendwo sonst.“

Zweifellos ist Ms. Manji keine Paternalistin. Keine, die Verständnis zeigt für die „Zurückgebliebenheit“ des Islam, für seinen Begriff des einzig Richtigen.

Irshad Manji schmust nicht, sie konfrontiert – „weil ich fromm bin, ich weiß, dass mein Gott, Allah, mich begleitet“. Gern fügt sie dies an, um nicht in den Ruf zu kommen, eine Häretikerin zu sein, eine Abtrünnige. „Ich denke, dass gerade die Hardliner den Glauben nur für ihren Totalitarismus nutzen. Sie missbrauchen den Islam, wenn sie ihn benutzen, um Menschen untertänig zu halten.“ Bildung, Erziehung, Kultur: „In all diesen Bereichen, das sagen selbst arabische Controller der OECD, hinken die arabischen Länder dem Westen weit hinterher. Die Rückständigkeit ist selbst verursacht, da ist kein Amerika dran schuld.“

Aber der Irakkrieg … die amerikanische Nahostpolitik, ja, ist es klug, einem Land, das sie sich nicht selbst erobert hat, Demokratie zu verordnen? „Nun“, sagt sie gedehnt, „darüber kann man sprechen, aber doch nicht darüber, dass Saddam und sein Totalitarismus wegmussten, oder?“ Und Israel und seine Politik Palästinensern gegenüber – die sind doch gerade Islamisten ein Dorn im Auge? „Ausreden, alles Ausreden“, antwortet Manji nun sehr kühl, „Israel ist wirklich ein Dorn – weil es wehtut, und das gefällt mir. Es zeigt den arabischen Nachbarn, dass man aus einer Wüste etwas machen kann – Demokratie, Liberalität und die Gleichheit der Geschlechter sind allerdings Voraussetzungen. Ich finde, wir sollten all dies nicht immer vergessen.“

Trinkt einen Schluck Wasser, ihre Frisur sitzt immer noch strähnenstramm, und fährt fort: „Der Westen, wir, Sie und ich, wir denken, dass der Islam in Demokratien nicht funktioniert. Und? Bin ich eine Abtrünnige?“ Macht anderthalb Sekunden Pause, guckt einen an und sagt: „Also!“

Der Westen, das glaubt sie nach dem Mord an Filmregisseur Theo van Gogh in Amsterdam, „ist leider sehr vergesslich. Eine Amnesie, die vielleicht sympathisch ist. Man trägt nicht nach. Aber diesen Mord, den dürfen wir nicht so rasch zu den Akten legen. Er zeigt uns was. Dass man zusammenleben kann – aber nicht alles erlauben darf.“

Steht nicht in Kanada in manchen Metropolen zur Diskussion, in muslimisch dominierten Vierteln und zumindest im Zivilrecht die Scharia einzuführen – der religiöse Kodex sei einfach islamischer für Muslime. Jetzt funkeln ihre Augen stählern: „Ja, das wollen manche.“ Und: „Oh, da versteh ich keinen Spaß. Die Scharia, das ist Gespensterzeug, sie ist ein Wort, das Frauen wie mich einzusperren droht. In Kanada wird das nicht passieren – da werde ich kämpfen. Leider sehen viele meiner nichtmuslimischen Freunde dieses Problem nicht in der Schärfe. Sie bestreiten, dass es etwas Schlechtes bedeuten würde. Ich denke, viele haben keine Liebe zu ihrem demokratischen Land. Sie glauben, dass man es nicht verteidigen muss.“ – „Es“? – „Nicht ein Staat allein, sondern eine Lebensweise, die Gott nicht immer für alles um Ausreden nachsucht und um Entschuldigungen, wenn mal etwas nicht läuft.“ Manji ergänzt: „Islamophobie? Die gibt es? Dass ich nicht lache.“

Tut sie auch nicht. Trinkt abermals einen Schluck Wasser und beginnt, von ihrem größten Anliegen zu sprechen, Krediten für Frauen gerade in arabischen Ländern: „Die internationalen Institutionen, ob UNO oder die Weltbank, müssen ihr Geld nicht ausgeben, um die Amerikaner in Schach zu halten. Nicht, um den ach so unterdrückten Völkern zu helfen, sondern um Frauen eigene, selbstbestimmte Existenzen zu ermöglichen. Das meiste Geld der Hilfsprogramme geht nach wie vor an Projekte, die kaum nützen. Ich plädiere dafür, die Hilfen Frauen zu geben – sie organisieren die stärkste Wirtschaftskraft. Von ihren Umsätzen und Profiten können meist zehn Leute leben. Männer arbeiten nicht so profitabel. Frauen haben gerade von kleiner Ökonomie viel mehr Ahnung. Sie setzen nicht auf Prestige, nicht auf Protzerei – das ist die Chance überhaupt, in den arabischen Ländern Frieden zu stiften. Wer für die eigene Existenz mit Krediten einstehen muss, bringt auch keine Selbstmordattentäter oder Islamisten hervor.“

Weitere fünf Termine hat Manji noch, das Aspen-Institut, das sie betreut, hat ihr freilich den Zeitplan nicht so gestrickt, dass sie keine freie Minute hat: „Morgen geht es weiter. Irgendwann nach Hause. Und im Spätsommer hoffe ich, dass ich nach Israel fahren kann.“ Dort findet der World Pride statt, eine Parade der Queer Nation, von Schwulen und Lesben in Jerusalem. Ausgerechnet in der Heiligen Stadt … „Das nehme ich als Zeichen: Auch in religiös aufgeladenen Gegenden sind solche Demonstrationen möglich.“ Ist ihr Ziel, dermaleinst in Riad, Mekka oder Amman einer Queer-Parade zuzugucken? „Ich glaube, Mekka ist utopisch, Riad auch. Städte des Bösen, wohl noch lange. Aber Bagdad, das wäre ein Projekt. Ich höre, dass es dort bereits eine Gay & Lesbian Community gibt. Ist das nicht wonderful?

Abends in der Volxbühne, vor etwa 100 Leuten, liest sie aus ihrem Buch vor. Wie am Morgen eine bezaubernde Redemaschine. Plötzlich zwitschert in der Handtasche einer Frau ein Handy. Irshad Manji lässt sich diesen Klingelton nicht entgehen: „Mam, sagen Sie, falls es Gott ist, dass ich wieder ganz in seinem Sinne unterwegs bin.“

JAN FEDDERSEN, 47, ist taz.mag-Redakteur