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Archiv-Artikel

Von der Zukunft abgeschnitten

Sieben Wochen Darfur: Der Bremer Kinder- und Jugendpsychiater Hartmut Jung arbeitete in einem sudanesischen Flüchtlingslager. „Was im Sudan läuft, ist schrecklich. Und in Deutschland ist es kaum ein Thema“

„In der Nähe zerfloss alles, was ich mir vorher vorgestellt hatte.“

„Niemand wusste vorher, wie gefährlich es in Darfur gerade ist“, sagt Hartmut Jung. Den 55-jährigen Kinder- und Jugendpsychiater aus Bremen schreckte das von einem Auslandseinsatz nicht ab. Er hat schon viele Monate in fernen Ländern verbracht, oft unter einfachsten Bedingungen, immer als medizinischer Helfer. Im Januar und Februar nun arbeitete er für die internationale Ärzteorganisation humedica in einem Flüchtlingslager im vom Bürgerkrieg zerrissenen Sudan.

„Man musste dort schon aufpassen“, berichtet Jung. Aber Angst um sein Leben habe er nie gehabt. Dabei wäre er zweimal beinahe verhaftet worden. Je nach der politischen Großwetterlage unterstütze die sudanesische Regierung die Hilfsorganisationen – auf Druck der Weltöffentlichkeit, wie Jung vermutet – oder behindere sie. Dann müssten sich auch Helfer vorsehen.

Ins Bürgerkriegsgebiet Darfur gelangte der Bremer Arzt mit einem Flugzeug der UN. „Andere Verkehrsmittel stehen nicht mehr zur Verfügung.“ Für den Landweg sei die Lage zu unsicher. Denn die berüchtigten Janjaweed-Milizen, verschiedene Rebellengruppen, aber auch die Truppen der Regierung, brennen Dörfer nieder, töten oder vertreiben die Bevölkerung. „Anschließend schiebt es einer auf den anderen“, berichtet Jung.

Nach der Landung ist Hartmut Jung überrascht: „Auf den ersten Blick schien Nyala eine ganz normale afrikanische Stadt zu sein, mit 200.000 Einwohnern und einem großen Markt.“ Mitten in der Krisenprovinz liegt die Stadt, zugleich Sitz der meisten Hilfsorganisationen in der Region. „Aber nachts hört man die Militär-Hubschrauber über die Stadt donnern. Bei der Rückkehr geben die dann Freudenschüsse in die Luft ab, weil sie wieder ein Dorf platt gemacht haben.“

Wer einen solchen Angriff überlebt, versucht sich in eins der Flüchtlingslager durchzuschlagen, die wie ein Ring im Umkreis von fünfzehn Kilometern um die Stadt liegen. Hier suchen Traumatisierte, Angeschossene und Schwerstverletzte Zuflucht. „So nah trauen die Milizen und Rebellen sich nicht heran“, erzählt Jung. „Allerdings haben auch die Soldaten der Regierung wenig Hemmungen, auf die Flüchtlinge zu schießen.“

Und doch war Jung bei seinem ersten Besuch im Flüchtlingslager überrascht: „Ich dachte, dass dort reihenweise unterernährte Kinder zu behandeln wären.“ Aber das war nicht so. „Glücklicherweise funktioniert die Versorgung durch die Hilfsorganisationen einigermaßen.“ Außerhalb der Lager aber sehe das anders aus. „Manche Gegenden können wir nicht erreichen. Da fährt sporadisch mal ein Konvoi von Ärzte ohne Grenzen hin, unter Militärbegleitung“, berichtet Jung. „Was da läuft, ist schrecklich. Und in Deutschland ist es kaum ein Thema. Das empört mich wirklich“, sagt er. „Die Flüchtlinge sind doch völlig von einer Zukunft abgeschnitten“.

Allein in dem Lager, wo Jung arbeitete, leben 100.000 Menschen, die in allem auf Andere angewiesen sind. „Diese Menschen können nichts tun“ – außer zum Arzt zu gehen. Achtzig von hundert Patienten kommen, weil sie Rückenschmerzen haben“, klingt Jung noch etwas erstaunt. Er hatte viel mehr Notfalleinsätze erwartet.

Als weißer Helfer wurde der Psychiater mit hohen Erwartungen konfrontiert: „Viele glauben noch an ein Wunder – und sie erwarten, dass es durch uns kommt, die Ärzte aus dem Ausland.“ Mit dem Wunder konnte Jung nicht dienen – aber in Einzelfällen konnte er helfen. Das Augenlicht eines Mädchens konnte gerettet werden, weil der Arzt für sie eine Operation im Militärhospital organisierte. Um die Kosten zu decken, schickte er per SMS einen Spendenaufruf nach Deutschland. Alles auf eigene Faust – „die Organisation humedica lehnt die Zusammenarbeit mit dem Feind prinzipiell ab. Ich befand mich in einem moralischen Dilemma.“ Jetzt habe zwar das Militär das Geld, aber ansonsten wäre das Mädchen blind geworden.“

Hartmut Jung ist sicher: „Im Sudan ist die hohe Politik gefordert.“ Es bringe aber wenig, nur der Regierung die ganze Verantwortung in die Schuhe zu schieben, die sei selbst hilflos. Schwarzweiß-Denken nütze im Sudan wenig: „Aus der Nähe betrachtet zerfloss alles, was ich mir vorher vorgestellt hatte.“

Peter König