: „Wir waren hübsch, und wir waren hart!“
Sie sang 1966 mit „These Boots …“ die Hymne zur sexuellen Befreiung der Frau. Sie verkörperte selbst ein Rollenmodell, das auch 2005 noch relevant ist. Nun tritt sie in Deutschland auf, mit 64 Jahren, erstmals in ihrer Karriere: Nancy Sinatra
INTERVIEW CORINNA WEIDNER
taz: Mit 26 Jahren hatten Sie Ihren ersten Hit. Aber erst heute, mit 64, geben Sie erstmals Konzerte in Deutschland.
Nancy Sinatra: Sie können sich gar nicht vorstellen, wie unglaublich ich das finde … Meine europäischen Fans sind wunderbar, denn weder das Alter noch das Aussehen ist für sie wichtig. Sie interessieren sich für die Musik, und das gibt jemandem wie mir ein sehr gutes Gefühl. Aber meine Anhängerschaft in Europa war schon in den frühen 60ern – also vor „Boots“ – groß und meine Platten waren dort in den Charts, während sie in Amerika nicht einmal im Radio gespielt wurden.
Warum?
Das Genre, dem ich damals zugerechnet wurde – man nannte es „Bubblegum“ – war am Ende. Aber in Europa waren die Leute neugierig auf die Tochter von Frank Sinatra, und dann gefiel ihnen auch noch die Musik.
„Boots“ wurde zu einem Statement, das bis heute als Rollenmodell für Frauen Relevanz hat: das selbstbestimmte Pop-Girl als eine Facette des Feminismus.
Wir haben das damals gar nicht bemerkt. Wir wussten nichts von der Frauenbewegung oder dem Feminismus und dachten nur, dass es ein witziger, flirtiger Song ist. Erst als 1972 Helen Reddys „I am woman“ herauskam, fingen die Leute an, auch über „Boots“ zu schreiben, und dann wurde es eine Hymne für Frauen.
Sind Sie Feministin?
Aber sicher! Das ist so, wie eine Demokratin zu sein. Ich fühle mich mit meinen Werten sehr wohl. Als ich zehn Jahre alt war, hatten meine Tanten damit zu kämpfen, dass sie im Büro nicht dasselbe Gehalt wie die Männer bekamen. Zwar wusste ich damals noch nicht, was Feminismus war, aber von dem Punkt an habe ich ein Leben lang Kämpfe für Frauen ausgefochten!
Haben Sie die Sechzigerjahre als frauenfreundlich oder frauenfeindlich erlebt?
Mit der Pille fingen die Frauen an, die Kontrolle zu übernehmen und sexuell auf die Männer zuzugehen – das war vorher nicht möglich wegen der Angst, schwanger zu werden. Mit der Pille in den Sechzigerjahren – ich kann hier nur für Amerika sprechen – kam eine Freiheit, die wir vorher nie gekannt hatten. Wir wurden als Teil der Gesellschaft viel mächtiger, und als Betty Friedan anfing, öffentlich darüber zu sprechen, passte „Boots“ in die Zeit.
Sie haben „Boots“ auch buchstäblich verkörpert und treten heute noch in Stiefeln auf, der Look lebt also weiter. Was war eigentlich zuerst da: Ihre Stiefel oder das Lied?
Tatsächlich waren meine Stiefel zuerst da. Ich hatte mich Anfang der Sechzigerjahre in der Londoner Carnaby Street in die Mode von Mary Quant verliebt und trug sie dann in den amerikanischen Clubs. Ich war jung, Single – na ja, quasi Single – und gut drauf, aber die Leute machten sich über mich lustig. Die hatten von den Veränderungen in Europa nichts mitbekommen, bis Twiggy auf den Titelseiten von Vogue und Harper’s Bazaar erschien. Da merkten sie erst, was für eine überwältigende Welle in Sachen Miniröcke und Stiefel sie treffen sollte. Aber Lee Hazlewood hatte das Lied ursprünglich für sich selbst geschrieben, aus seiner Cowboy-Welt heraus: Er wollte also über dich „drüberstiefeln“. Ich sagte ihm, dass er das nicht singen kann, denn der Text klingt aus einer Männerperspektive wie Missbrauch.
Die Duette mit Lee Hazlewood kamen erst nach Ihren Solo-Hits. Wollte der Mann im Hintergrund auch mal vorne stehen?
Er hatte diese Lieder – beispielsweise „Some Velvet Morning“ oder „Summerwine“ – mit Susi Jane Hokom aufgenommen, aber dummerweise waren sie nie erfolgreich. Er half mir, indem er mir diese wunderbaren Songs gab, und ich half ihm, endlich in die Charts zu kommen. Eine Hand wäscht die andere …
2002 hat er das Enthüllungsbuch „The Pope’s Daughter“ über Sie veröffentlicht.
Das ist seine Art, lustig sein zu wollen. Ich mache mir darüber keine großen Gedanken, denn ich kann sowieso nichts dagegen unternehmen. Entweder sagt man dann: „Oh nein, nicht mit mir!“, oder man sagt: „Fuck you!“ Er musste das wohl tun, um wieder mal eine warme Mahlzeit auf dem Tisch zu haben.
Das Cover Ihrer LP „Sugar“ aus dem Jahr 1967 zeigt Sie im Bikini. War dieses Foto damals als Verkaufsargument gedacht? Oder sollte sich dadurch eine Haltung mitteilen? Aus heutiger Sicht wirkt es ja ziemlich keusch.
Es war absolut als Statement gemeint. Der Gesichtsausdruck sagt: „Ja, wir sind hübsch und wir sind hart!“
1995 ließen Sie sich für den Playboy fotografieren, als 55-Jährige. Rangiert das bei Ihnen auch unter dem Begriff Feminismus?
Meiner Meinung nach sind Feminismus und Sexualität eine perfekte Kombination, schließlich geht es auch um die Freiheit, über die eigene Sexualität zu entscheiden, und das habe ich mit den Playboy-Fotos weitergeführt.
Ihr neuestes Album heißt schlicht „Nancy Sinatra“ und etliche Musiker zollen Ihnen darauf Tribut. Eine erstaunliche Renaissance, die Sie da erleben.
Ich habe in den letzten zehn Jahren drei Platten veröffentlicht, die alle floppten. Das hat mich sehr frustriert, denn ich hatte sehr hart dafür gearbeitet. Ich trat in kleinen Clubs in Amerika auf und investierte viel Geld, weil die Veranstalter mir und der Band nicht einmal die Flüge bezahlen konnten. Danach habe ich mich meiner Tochter gegenüber beschwert, und sie sagte: „Mutter, ich weiß genau, was du machen solltest“, und ich sagte: „Dann hilf mir!“ Und so haben wir das neue Album zusammen gemacht.
Ist es auch in den USA erfolgreich?
Es bekommt sehr gute Kritiken. Mehr habe ich auch nicht erwartet, denn es gibt keine Radios, die diese Art von Musik heute spielen. Die Akzeptanz der Kritiker macht mich wirklich glücklich, denn zumindest werde ich jetzt in eigener Sache und für meine Musik wahrgenommen und geschätzt, anstatt immer noch die Tochter von Frank Sinatra zu sein. Das war ich 40 Jahre lang.
Würde Sie ein musikalisches Frauenprojekt interessieren, wie es Dolly Parton mit Emmylou Harris, Tammy Wynette, Loretta Lynn und Linda Ronstadt gemacht hat?
Oh ja, ich wollte „Volume 2“ von meinem Album machen und habe dazu auch schon eine tolle Besetzung gefunden, nur mit Frauen. Aber ich befürchte, dass es nie erscheinen wird, denn kein Label will es realisieren. Eine Schande.
Platten mit Standards aufzunehmen liegt gerade voll im Trend. Nun kommt ausgerechnet die Tochter von Frank Sinatra, dem „King of Standards“, lieber mit einem Independent-Album auf den Markt. Das hat Klasse.
Wow! Ich bin geradezu sprachlos, dass einmal jemand versteht, worum es mir geht. Meine Musik ist ein wichtiger Teil dessen, was mich immer angetrieben hat. Und ich will meinen Kindern ein besseres Erbe hinterlassen, als nur das One-Hit-Wonder oder Franks Tochter zu sein – auch wenn ich wohl nie als Kandidat für die „Rock ’n’ Roll Hall of Fame“ in Betracht kommen werde. Das ist mein Stigma, aber es ist auch nicht gerade das Ende der Welt. Trotzdem hatte ich insgesamt 23 Platten in den Charts und kenne nicht viele Frauen, die das von sich behaupten können. Im Billboard Magazine tauchte das neue Album in der Top-Ten-Liste der „Besten des Jahres“ auf, und das tut gut: Wenn ich jetzt aufhöre, dann wird dieser Erfolg für immer in der Welt und Teil meines Vermächtnisses sein. Ich habe also doch noch etwas erreicht, worauf meine Kinder stolz sein können. Ironischerweise haben sie mir dabei geholfen: Eine Tochter hat das Album produziert, die andere hat die Fotos dazu aufgenommen.