: Im Lehrerkollegium zwei Klassen
Die Einstellungspraxis an nordrhein-westfälischen Gymnasien und Gesamtschulen verstößt gegendie Verfassung, sagt das Bundesarbeitsgericht: Das Prinzip der Bestenauslese wird nicht beachtet
VON SEBASTIAN SEDLMAYR
Für unsere Schüler nur die besten Lehrer? Die Einstellungspraxis an den Gymnasien und Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen lässt an diesem Verfassungsgrundsatz zweifeln. Offensichtlich aus Gründen der allgemeinen Sparwut schreiben Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen manche Stellen lediglich für die Sekundarstufe I aus, fischen sich aber vom übervollen Arbeitsmarkt Bewerber mit der Lehrbefähigung für die Sekundarstufen I und II ab. Die müssen dann als Angestellte bis zur Hälfte der Unterrichtsstunden in den Jahrgangsstufen 11 bis 13 unterrichten, werden aber nur als Lehrer der Stufen 5 bis 10 bezahlt - ein gravierender Unterschied im Gehalt.
Trotz dieser Ungerechtigkeit bewerben sich immer wieder Lehrer mit der Qualifikation für beide Sekundarstufen (Sek) auf solche Mogel-Stellen, weil sie lieber einen schlechter bezahlten Job haben als gar keinen. Der große Haken: Nach der bisherigen Rechtslage waren sie dann für fünf Jahre an die Sekundarstufe I gefesselt. Erst nach dieser Wartefrist durften sie wieder an Ausschreibungsverfahren für die lukrativeren und ihrer Ausbildung angemessenen Sek-II-Stellen teilnehmen. Diese Praxis in Nordrhein-Westfalen hat nun das Bundesarbeitsgericht in Erfurt gestoppt und für verfassungswidrig erklärt, weil das Prinzip der Bestenauslese nicht erfüllt werde. Für Sek-II-Qualifizierte, die als Sek-I-Lehrer angestellt sind, ist damit grundsätzlich der Weg frei, sich ohne vorherige Wartefrist an Sek-II-Ausschreibungen zu beteiligen.
Im konkreten Fall hatte ein Lehrer mit der Qualifikation für die Sekundarstufen I und II an einem Auswahlverfahren der Gesamtschule Merzenich/Niederzier zwischen Köln und Aachen teilgenommen und die Kommission überzeugt: Nach den Vorstellungsgesprächen lag er für die Sek-II-Stelle auf Nummer Eins. Doch die Kölner Bezirksregierung verhinderte seine Einstellung, weil der Lehrer für Chemie und Erdkunde bislang auf einer Sek-I-Stelle gearbeitet und die 5-jährige Wartezeit noch nicht erfüllt hatte.
Der Lehrer klagte gegen diese Entscheidung. Nachdem er bereits vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf einen Erfolg erzielt hatte, schloss sich das Bundesarbeitsgericht dessen Urteil an und wies die Revision des Landes Nordrhein-Westfalen zurück. Nun darf der Lehrer in Merzenich auf der Sek-II-Stelle unterrichten.
Rechtsanwalt Helmut Legarth, der den Präzedenzfall durchgefochten hat, ist allerdings skeptisch, ob nach dem Urteil tatsächlich eine Verbesserung für die Betroffenen eintreten wird: „Ich erwarte vom Ministerium grundsätzlich nichts Gutes“, sagt er. Seine Skepsis scheint angebracht. Auf Nachfrage der taz erläutern Sprecherinnen des Schulministeriums und der Bezirksregierung Köln wörtlich übereinstimmend: „Wir müssen jetzt an einem neuen Erlass basteln.“ Und der könnte Laufbahnwechsel für Sek-I-Lehrer im Angestelltenverhältnis dann sogar gänzlich unmöglich machen. „Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt: Wir hätten einen Laufbahnwechsel generell verbieten oder auch generell erlauben können“, so Ministeriumssprecherin Nina Schmidt. Lediglich die Festlegung auf fünf Jahre Wartefrist sei verfassungswidrig.
Die schriftliche Ausarbeitung des am 15. März gefällten Urteils steht noch aus. Für das nächste Sek-II-Bewerbungsverfahren im Mai hat die NRW-Landesregierung allerdings schon vorgesorgt: Laufbahnwechsler sind davon grundsätzlich ausgeschlossen.
Auf der Homepage der Lehrergewerkschaft GEW können sich Betroffene Musteranträge für einen Laufbahnwechsel herunterladen und weitere Informationen einholen. Das höchstrichterliche Urteil gilt allerdings nicht für verbeamtete Lehrer. Diese haben – jedenfalls bislang – keinen Anspruch auf eine Beförderung in die Gehaltsklasse der Sekundarstufe II, selbst wenn sie dafür ausgebildet sind. Für den Landesgeschäftsführer der Lehrergewerkschaft GEW, Michael Schulte, ist diese „schädliche Sparpolitik für die Schulen schlicht eine Unverschämtheit“. Schulte kündigte an, auch für die Beamten unter den Lehrern eine gerechtere Regelung erreichen zu wollen, denn: „Die machen dieselbe Arbeit.“
Aktenzeichen: 9 AZ R 142/04www.gew-nrw.de