: Der Flirt mit der Fraktur
Mit den Provokationen des berüchtigten Rappers Sido wurde das Berliner HipHop-Label Aggro berühmt. Nun soll die Rechnung noch mal aufgehen – mit sexistischen und nationalistischen Tönen
VON ANDREJ REISIN
„Deutscher Rap will Ghetto werden, doch die Nutte weiß nicht wie!“ So verkündete es der Berliner Rapper Bushido 2002 auf dem Album „Carlo, Cokxxx, Nutten“, das bei dem damals relativ unbekannten Label Aggro Berlin erschien. Danach ging es allen „Möchtegern-Berlinern“ und „Homo-Opfern“ an den Kragen und für die „Aggrostarz“ steil nach oben. Bushido, der inzwischen bei Universal unter Vertrag steht, ist ebenso zum Top-Ten-Act geworden wie sein ehemaliger Labelkollege Sido, der bei Stefan Raabs Bundesvision Songcontest 2005 den dritten Platz belegte und für drei Echos nominiert wurde.
Mit provokanten Texten über die Straße, Drogen und Gewalt und dem Beleidigen anderer Rapper (dem so genannten „Dissen“) veränderten die Berliner Jungs die Landkarte der deutschen Rap-Szene. Zwar werden sie von der Bundesprüfstelle nicht geliebt, doch manchem Kritiker gelten sie als authentischer Ausdruck einer Realität am Rande der Gesellschaft, ja gar als „Avantgarde des Lumpenproletariats“, wie die Musikzeitschrift Intro schrieb.
Am 1. Mai 2005 erscheint mit dem Album „Neue Deutsche Welle“ das Debüt des Rappers Fler auf Aggro Berlin. Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung gab es einige Auseinandersetzungen: Bushido, Flers ehemaliger Partner am Mikrofon, brachte Anfang des Jahres einen Diss-Track heraus, in welchem er seinem alten Kumpel vorwarf, den Produzenten DJ Ilan „geldggeiles Judenschwein“ genannt zu haben. Zwar wurde die antisemitische Figur als Zitat benutzt, dennoch bleibt es Bushidos unrühmliches Verdienst, der erste Popstar der bundesdeutschen Geschichte zu sein, der diese Wortkombination in einem Song verwendet hat.
Offiziell dementiert wurde das vermeintliche Zitat von Aggro Berlin bislang nicht, obwohl Fler die Äußerung als solche allemal zuzutrauen ist. Bereits in früheren Interviews bezeichnete er einen anderen Rapper als „schwulen Zigeuner“ und gab zu Protokoll, dieser solle sich „ganz krass mit seiner Sinti-Sippe in den Arsch ficken“ und „mit seinen ganzen Zigeunern zurück in ihre Wohnwagen“ rennen.
Im aktuellen Video sieht man Fler in einem Mercedes-Coupé durch Berlin cruisen, Prostituierte mitnehmen, illegale Boxkämpfe besuchen und auf Häuserdächern rumposen. Dazu läuft ein technoider Beat, über den gekonnt ein Sample von Falcos „Rock me Amadeus“ gelegt ist – laut Fler war der Wiener „der erste deutsche Rapper“. Ob der Verstorbene diese Einschätzung geteilt hätte, ist zweifelhaft, tut der gelungenen musikalischen Untermalung der gezeigten Gangsterfreuden aber keinen Abbruch.
Angesichts des ganzen Streits im Vorfeld bewarb Aggro Berlin das baldige Erscheinen von Flers Album mit dem Slogan: „Am 1. Mai wird zurückgeschossen.“ Als Schrifttyp wählte man passenderweise Fraktur, was wohl altdeutsche Assoziationen wecken soll. Das Weltkriegseröffnungszitat des Führers und Reichskanzlers wurde allerdings selbst den Aggro-Mackern nach ein paar Wochen zu heiß, und man entfernte es von der Homepage. Dies führte wiederum bei einigen Fans zu Missmut und wurde im Internet prompt als „schwul“ gegeißelt.
Seit seinen ersten Auftritten in Videoclips von Aggro Berlin schwenkt Fler deutsche Fahnen und wird nicht müde, über seine Nationalität zu schwafeln. „Schwarz, rot, gold / hart und stolz“, heißt es dazu im Titelsong des neuen Albums. Flers Logo und Schriftzug werden dementsprechend von einem mehr oder weniger kunstvoll entstellten Reichsadler gebildet.
Der bewusste Einsatz rechtsradikaler Stilelemente bei der Vermarktung von Fler lässt sich nur so erklären, dass man bei Aggro unter multikulturell offensichtlich vor allem versteht, dass jeder sich auf seine vermeintliche Kultur berufen muss, um gegen alle anderen zu bestehen. So werden aus Klischees Wahrheiten: Der schwarze Rapper B-Tight fungiert bei Aggro als der „Neger“ und lässt in seinen Texten kein rassistisches Vorurteil bezüglich seiner Hautfarbe und Schwanzlänge aus. Fler soll wohl als „der Deutsche“ promotet werden, und Runenschrift plus Adler ist offensichtlich alles, was Aggro Berlin dazu einfällt.
Was Fler und sein Label hier betreiben, ist die Aufladung von deutschem HipHop mit einer dumpfen nationalen Identität. Deren Symbolik entzieht sich der Deutungshoheit ihrer Macher weitgehend und lässt sich nicht einfach aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang lösen.
Man mag sich bei Aggro Berlin selbsterklärtermaßen einbilden, „das Land zu übernehmen“, aber Reichsadler bleibt eben Reichsadler und die Marketing-Mixtur aus nicht dementierten Antisemitismusvorwürfen, Hypernationalismus, Sexismus und Homophobie eine ziemlich trübe Brühe.