: Provokationen in die falsche Richtung
GROSSE EREKTIONEN „Pierre et Gilles“ – eine Retrospektive bei C/O Berlin huldigt den wilden Achtzigerjahren
VON MARKUS WOELLER
Die Bilder sind alle Schrott, aber die Musik ist toll.“ Der Besucher der Eröffnung der Ausstellung von Pierre et Gilles im Berliner Postfuhramt war wohl eher wegen des Auftritts von Stereo Total gekommen. Die Band von Françoise Cactus und Brezel Göring sorgte mit ihrem Heimspiel für ein volles Haus.
Keine schlechte Idee von C/O Berlin, die Vernissage mit einem Gratiskonzert zu verbinden, denn ob die Ausstellung ohne diesen musikalischen Mehrwert eine derartige Resonanz erzielt hätte, ist fraglich. Nicht weil die Bilder alle Schrott wären, das sind sie nicht. Die Bilder sind nur seltsam aus der Zeit gefallen, genauso wie das freundliche schwule Pärchen, das sie fotografiert, danach bemalt und zum Schluss in pompöse Rahmen gesteckt hat.
Bei der letzten großen Ausstellung von Pierre et Gilles, 1997 im Fotomuseum München, gab es noch einen kleinen Eklat. Oberbürgermeister Ude unterband die Verschickung der Einladungskarten auf Kosten der Stadtkasse: Auf ihnen war „Le Petit Jardinier“ zu sehen, ein halbnackter Gärtner, der mit herausforderndem Blick in ein Blumenbeet uriniert. Im konservativen Bayern war das noch eine Aufregung wert, 12 Jahre später im neopreußischen, von einem homosexuellen Bürgermeister/Kultursenator regierten Berlin nicht mehr. Das Bildprogramm des Künstlerpaars – gut gebaute Jünglinge, heruntergelassene Hosen, große Erektionen, fröhliche Transsexuelle, idealisierte Celebrities unterm Sternenhimmel, Camp, Glanz und Gloria – sind Mainstream geworden.
Überbleibsel der Pop-Art
Dabei entsteht viel Kitsch, der keine beschämte Aufregung mehr hinterlässt, dafür an eine Zeit erinnert, in der Michael Jackson mit dem Griff in den Schritt schockierte und Jean-Paul Gaultier noch als Enfant terrible der Modewelt galt. Gaultier hat sich wie viele andere Prominente von Pierre et Gilles porträtieren lassen. Ähnlich wie Jeff Koons und Gilbert & George, die zurzeit eine Ausstellung in der Galerie Arndt & Partner präsentieren, haben sich Pierre Commoy und Gilles Blanchard an den Hinterlassenschaften der Pop-Art bedient und sie in einer visuellen Üppigkeit zusammengequirlt, die im Rückblick unauslöschlich mit den 80er-Jahren verbunden ist. In einer Art manuellem, analogem Photoshop überbetonen sie die Oberfläche. Gilles bemalt die Fotografien seines Partners Pierre, er setzt Lichter, verstärkt den Gloss auf Lippen und den Glanz in den Augen, verschiebt den letzten Rest Realität in eine märchenhafte Traumwelt.
Pierre et Gilles zitieren jedoch auch Traditionen der Kunst- und Fotografiegeschichte. Sie haben die Retusche als künstlerisches Medium wiederbelebt. Sie suchen das Ideale im Künstlichen und bedienen sich dafür an den klassischen Bildgattungen. Ein Bild zeigt den Götterboten Merkur, der seine antike Nacktheit im Muskelspiel des Kontraposts optimiert. Das Plakat, das über dem Eingang des Postfuhramts hängt, zeigt ein Lieblingsthema des Künstlerpaars, das seit 1976 zusammenarbeitet: ein heiliger Sebastian, der sich durchtrainiert und schwülstig an einen Pfahl lehnt, statt an ihm festgebunden zu sein. Vor dem Einschlag der Pfeile schützt er sich nur mit einem züchtig weißen Suspensorium.
Nächtliche Flammen
„Saint Sebastian“ gehört zur neuesten Serie von Pierre et Gilles, „Wonderful Town“. Wie üblich bauen sie für ihre Werke aufwendige Szenenbilder im hauseigenen Studio auf. Der theatralische Bühnendekor früherer Arbeiten ist nun einer düsteren Staffage gewichen. Vor dem Hintergrund einer städtischen Industriekulisse scheint ein Krieg stattgefunden zu haben. In den Trümmern aus Stacheldraht, öligen Zahnrädern, verschmutztem Kinderspielzeug liegen die Modelle und stellen ihre Platzwunden zur Schau oder präsentieren ihre Uniform. Das wirkt bestenfalls absurd, öfters peinlich.
Etwa wenn der französische Pornodarsteller François Sagat aus nächtlichen Flammen emporwächst, als wäre Arno Breker aus einem feuchten Traum erwacht. Das Bild eines KZ-Häftlings hinter Stacheldraht und brennenden Kerzen wäre einfach nur dämlich, hätten die Künstler neben dem Porträt nicht noch zwei Vasen mit frischen Blumen montiert. Damit läuft der frühere Wille zur gezielten Provokation leider in eine völlig falsche Richtung.
Doch überarrangierte Produktion war schon immer ein Stilmittel von Pierre et Gilles. Und so gehören sie mit ihren Bildern aus den späten Siebzigern bis frühen Neunzigern zu den einflussreichen Künstlern ihrer Zeit. Auch wenn sie vielleicht die Kunst nicht wesentlich vorangebracht haben, zur Akzeptanz der Homosexualität haben sie ihren kulturhistorischen Beitrag geleistet und damit die allgemeine Wahrnehmung von etwas Scham befreit.
Bis 4. Oktober, C/O Berlin, Oranienburger/Tucholskystraße, Eintritt 7, ermäßigt 5 Euro, täglich 11 bis 20 Uhr, www.co-berlin.com