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Archiv-Artikel

Ihre ganze Welt ist Bühne

THEATER In „Die Unsichtbare“ von Christian Schwochow wird eine junge Schauspielerin durch die Mangel einer Theaterinszenierung gedreht

Es ist diese Unbedingtheit, mit der Fine im mehrfachen Sinne ihre Rolle sucht, die dem Film seine ganz eigene Faszination gibt

VON WILFRIED HIPPEN

Warum tut sie sich das an? Diese Frage stellt sich der Zuschauer alle paar Minuten, wenn man sieht, wie die junge Schauspielerstudentin Fine in diesem Film leidet. Sie scheint ein geborenes Opfer zu sein, und in ihrer Klasse ist sie neben den anderen ehrgeizigen Studentinnen so unscheinbar, dass ihr Dozent sie nur halb im Scherz „die Unsichtbare“ nennt.

Sie ist die, der immer alles Schlimme passiert. Und so verpatzt sie natürlich auch das Casting für eine Theaterinszenierung, indem sie vor Erschöpfung auf der Bühne einschläft. Doch gerade dadurch wird der renommierte Regisseur Friedman auf sie aufmerksam und wählt sie für die Hauptrolle aus.

Die Geschichte von der jungen Darstellerin, die von ihrem Regisseur so zum Äußersten getrieben wird, dass ihre Arbeit an einer Rolle für sie zur Existenzfrage wird, ist im Kino schon einige Male erzählt worden. Natalie Portman hat für die Rolle einer selbstzerstörerischen Balletttänzerin in „Black Swan“ im letzten Jahr den Oscar gewonnen und das Vorbild dabei war „The Red Shoes“, in dem Moira Shearer nicht nur im Ballett das Mädchen spielt, dem die Tanzschuhe das Verderben bringen.

Es sind auch solche Dopplungen, die diese Stoffe so interessant machen. Das Stück, für das die Darstellerin so intensiv probt, spiegelt immer auch ihre inneren Konflikte. So wird Fine für die Rolle der „Camille“ besetzt, die der „Lulu“ in Wedekinds „Die Büchse der Pandora“ nachempfunden zu sein scheint. Diese ist manisch und sexsüchtig, Fine ist dagegen schüchtern und keusch. Alles ist bei ihr genau spiegelverkehrt zu der Rolle und für den Regisseur (der von Ulrich Noehten als ein manipulativer Dompteur gespielt wird) ist gerade dies der Reiz ihrer Zusammenarbeit, die immer mehr zu einem Machtkampf wird.

Zum Glück beschränken sich Christian Schwochow und seine Mutter Heide, mit der gemeinsam er das Drehbuch geschrieben hat (eine seltene Kombination), nicht auf diese eine Ebene des „Theaters-im-Film“. Mindestens ebenso detailreich und einfühlsam wie den Alltag an einer Schauspielschule und die Proben am Theater zeigt er das Familienleben von Fine. Diese lebt mit ihrer Mutter und einer schwerstbehinderten Schwester zusammen, und deren ständige Wutanfälle sind so dramatisch und kraftaufreibend, dass Fine schon immer „die Unsichtbare“ war, für die die völlig überforderte Mutter kaum noch Kraft und Zuneigung übrig hatte.

Doch im Laufe der Proben beginnt Fine, auch zu Hause Rollen auszuprobieren. Sie verwandelt sich immer mehr in Camille und überschreitet dabei mit selbstzerstörerischer Radikalität Grenzen. So findet sie einerseits den Mut, einen Nachbarn, in den sie schon lange verliebt ist, anzusprechen und zu verführen. Doch da sie auch dabei in der Rolle bleibt, ist diese Romanze (mit Ronald Zehrfeld als einem sehr attraktiven sanften Bären) zwar genau, was sie braucht, aber auch von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Es ist diese Unbedingtheit, mit der Fine im mehrfachen Sinne ihre Rolle sucht, die dem Film seine ganz eigene Faszination gibt. Schwochows Stärke liegt (wie schon in seinem Debüt „Novemberkind“) in der Vielschichtigkeit, mit der er die Figuren zeichnet. Und er hat ein gutes Gespür für die richtige Besetzung. So wirkt Christina Dressler beängstigend authentisch als die behinderte Schwester von Fine.

Seine Wahl der Hauptdarstellerin ist fast so ungewöhnlich wie jene des Regisseurs im Film. Denn weil bei vielen Castings in Deutschland (die er in einer weiteren Dopplung auch als Recherchen nutzte) seine Idealbesetzung nicht fand, wählte er die dänische Schauspielerin Stine Fischer Christensen, die er in einem Film von Susanne Bier entdeckte. Dass sie kaum Deutsch spricht und einen starken Akzent hat, war dabei kein Hinderungsgrund und diese sprachlichen Unsicherheiten (die durch kleine Änderungen im Drehbuch natürlich erklärt werden) geben der Figur nun noch eine weitere Schicht von Verletzlichkeit.