Statt Aufbruch nur Konsolidierung

UMGESTALTUNG Heute Abend wird das Gebäude der ehemaligen jüdischen Mädchenschule in der Auguststraße wiedereröffnet. Nun beherbergt es Restaurants und Galerien

Künstlerische Operationen am offenen Herzen finden längst woanders statt

VON MARCUS WOELLER

Zum Presseempfang in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule spielten sie Einschulung: die neuen Mieter und Untermieter in dem 1928 vom Architekten Alexander Beer errichteten neu-sachlichen Klinkerbau an der Auguststraße.

Initiator, Investor, Hauptmieter und somit Klassensprecher ist der Galerist Michael Fuchs, der vor gut einem Jahr den Entschluss fasste, neues Leben in das seit 15 Jahren verwaiste und dementsprechend verwahrloste Schulgebäude zu bringen. Gert Harry Lybke von der Galerie Eigen + Art darf als einer, der die schmale Straße als Kunstmeile der neunziger Jahre mit etablierte, nicht fehlen. Im dritten Obergeschoss plant er seine dritte Galerie neben dem Leipziger Stammhaus und der Berliner Dependance ein paar Häuser weiter.

Und wie Fuchs aus Charlottenburg wagt auch Ute Hartjen von Camera Work, einer Galerie für Fotografie, den Sprung nach Mitte. Galeristen, die die noch freien Ausstellungsflächen im zweiten Stockwerk bespielen, werden noch gesucht.

Das Erdgeschoss ist dagegen schon komplett untervermietet. Hier drängen sich mit dem „Pauly-Saal“ von Stephan Landwehr und Boris Radczun, den Inhabern von „Grill Royal“ und „King Size Bar“, einem Deli von Weekend-Betreiber Oskar Melzer und Musiker Paul Mogg und „The Kosher Classroom“ des Hoteliers Michael Zehden, einem Themenrestaurant zur Einhaltung der jüdischen Speisegesetze, gleich drei gastronomische Einrichtungen, die kaum noch an Schulspeisung erinnern.

„Ich habe schon immer ein Haus in Berlin gesucht, in dem ich Kunst und Gastronomie unter einem Dach vereinen kann“, erklärt Fuchs seine Idee dessen, was ab heute unter dem etwas gespreizten Namen „Haus für neue Kunst und Esskultur“ im nach neunmonatiger Umbauzeit vom Architekturbüro Grüntuch Ernst frisch sanierten Schulgebäude residiert.

Mit dem Vorhaben, das Baudenkmal wieder für sehendes wie schmeckendes Publikum zu öffnen, hatte er auch die Mitbewerber vom Forum für Fotografie C/O Berlin ausgestochen. „Die Räumlichkeiten kannte ich von der Berlin Biennale 2006“, erinnert sich Fuchs. Damals fungierten Wohnungen und Läden im Kiez, aber auch die Mädchenschule als erweiterter Ausstellungsbereich der Kunstbiennale. „Und mit meinem Konzept habe ich mich dann bei der Jüdischen Gemeinde beworben und hatte Glück, das Haus mieten zu können.“

Dieses Glück musste sich Fuchs allerdings auch mit der Investition von 5 Millionen Euro erkaufen. Risikoreich erscheint der finanzielle Einsatz besonders im Hinblick auf die Laufzeit. Lediglich 20 Jahre lang darf Fuchs das Gebäude beanspruchen, mit einer Option auf eine Verlängerung um weitere zehn Jahre. Danach fällt es zurück an die Jüdische Gemeinde, die natürlich darauf hofft, die Schule als Schauseite eines noch im Verborgenen liegenden Gebäudeensembles (mit ehemaligem Jüdischen Krankenhaus und Siechenhaus) wieder einer eigenen Nutzung zuzuführen. So soll im Krankenhaus in Zukunft etwa ein Zentrum für Jüdische Studien entstehen.

Kunstvolle Wundertüte

Mit der Wiedereröffnung der Mädchenschule als kunstvoll-kulinarische Wundertüte heute Abend erscheint die Gentrifizierung der Auguststraße als abgeschlossen. Anfang der neunziger Jahre kamen mit den Hausbesetzern die Künstler. Die Eröffnung der Kunst-Werke KW schräg gegenüber etablierte das Viertel als experimentelle Keimzelle des Kunstbooms. Mit den Künstlern kamen die Galeristen, kamen die Spekulanten, kamen die Miethaie – so wird das Hohelied der Gentrifizierung gesungen, Vertreibung der alten Bevölkerung und Luxurisierung des Bestands inklusive.

Gert Harry Lybke will nicht mitsingen. Er ist seit 20 Jahren Fixpunkt der Kunstszene von Mitte, sitzt wie eine Spinne in diesem Netz und will dort auch bleiben. „Ich bin in erster Linie Unternehmer“, sagt der bekennende Bohemien-Bourgeois und begrüßt die Veränderung. Für Lybke schließt sich der Kreis. Während viele andere Galeristen durch die Stadt tingeln, immer auf der Suche nach neuen, Coolness versprechenden Orten, ist Lybke geblieben. Für drei Jahre will er nun internationale Künstler in zwei ehemaligen Klassenzimmern zeigen. „Die Mädchenschule ist das Herz des Körpers Auguststraße.“ Die Wandlung ist dennoch spürbar – künstlerische Operationen am offenen Herzen finden längst woanders statt.

Von Avantgarde merkt man in den KW kaum etwas. Nebenan plustert sich der Sammler Thomas Olbricht mit einem Privatmuseum auf, innovative Galerien existieren keine mehr. Statt Aufbruch nur Konsolidierung. Und auch die Bourgeoisie hat viel von ihrer vermeintlichen Boheme eingebüßt. Im Restaurant „Pauly-Saal“ will man sich auf die vergessene bürgerliche Küche besinnen. Schmecken wird das, keine Frage. Nur verschlucken wird sich hier niemand mehr.

■ Ehemalige Jüdische Mädchenschule, Auguststraße 11–13 www.maedchenschule.org