: Tappt Fischer in die Visa-Falle?
VON LUKAS WALLRAFF
Es ist angerichtet. Heute um zehn Uhr: Joschka Fischer live im Visa-Untersuchungsausschuss. Das wird ein Schlachtfest, hofft die Union. Fällt der Vizekanzler, ist auch Rot-Grün am Ende. Das wird der Befreiungsschlag, hofft die Regierung. Schaut Fischer gut aus, wird auch die Wahl in NRW gewonnen. Mindestens. Deshalb hat Rot-Grün ja sogar das Fernsehen hinzugebeten. Etwas realistischer betrachtet, steht es im Visa-Ausschuss 0:0. Niemand fand sich bisher, der Fischer zusätzlich belasten konnte, aber auch kein Mitarbeiter, der die Visafehler auf seine Kappe nehmen wollte. Das muss er schon selbst. Für Fischer kommt es darauf an: Keine neuen Fehler machen, um die Visa-Affäre endlich abhaken zu können. Und welche Fehler könnte Fischer machen, in welche Fallen tappen?
Die Laber-Falle:
Das übliche Prozedere im Untersuchungsausschuss kommt Fischer sehr gelegen. Jedenfalls am Anfang. Bevor ihm irgend jemand Fragen stellen kann, darf Fischer tun, was er am liebsten tut: Reden. Ungestört. So lange er will. Dass er nur Gutes wollte mit den Visa. Dass später leider etwas schief ging, wovon er leider gar nichts wusste. Dass jetzt aber wieder alles gut ist. Nachteil: Er könnte endlos weiterreden. Zum x-ten Mal die orange-farbene Revolution in der Ukraine loben oder seine eigenen Leistungen für den Weltfrieden, sagen wir, andeuten. Dazu neigt er. Aber die Fernsehzuschauer – und erst recht die Journalisten – sind heute vor allem: ungeduldige Voyeure. Sie wollen endlich sehen, wie sich Fischer schlägt. Im Kreuzverhör. Gegen die Unionstypen.
Die Einstein-Falle
Fischer und Rot-Grün haben in den letzten Wochen eine neue Relativitätstheorie entwickelt: Uns sind Visafehler unterlaufen, aber den anderen früher auch. Kohl, Kinkel, sogar der harte Kanther – alle ließen zu, dass auch Schurken ins Land kamen, wie Dokumente zeigen, die Fischer-Helfer ausgegraben haben. Vorteil: Peinlich für die Union. Nachteil: Hebt Fischer zu sehr darauf ab, wie lasch die Schwarzen waren, widerlegt er damit automatisch eine andere grüne Theorie. Demnach war die Visapolitik der Vorgängerregierung so furchtbar restriktiv, dass man sie unbedingt verändern musste. Sonst hätte es ja den ganzen Volmer-Erlass gar nicht gebraucht, auf den Ludger Volmer doch so stolz war. Früher.
Die Bagatellisierungs-Falle
Bei zwölf Millionen ausgestellten Visa unter Rot-Grün sei die Fehlerquote „durchaus akzeptabel“. Hat Ludger Volmer im Ausschuss gesagt. Dürfte Fischer auch so sehen. Finden sicher viele, wenn sie hören, dass die Visazahlen nur in einem Land (Ukraine) nur in einem Jahr (2001) signifikant gestiegen sind. Akzeptabel? Sollen heute Abend noch mehr Leute denken, wenn es nach Fischer geht. Nur: Er darf es so explizit nicht sagen. Sonst kommt sofort der Vorwurf: Verniedlichung! Und die Union kann sich als Retter aller Zwangsprostituierten und Menschenhändleropfer aufspielen.
Die Keine-Ahnung-Falle
Die Unionsvertreter, allen voran der so genannte Vorsitzende Hans-Peter Uhl und der CDU-Obmann Eckart von Klaeden, werden Fischer stundenlang mit Fragen zu Details piesacken. Knifflig. Notgedrungen ist Fischer in den letzten Wochen einer Beschäftigung nachgegangen, die er eigentlich verabscheut: Akten lesen. Sein Rückstand gegenüber fanatischen, jahrelang geübten Visafehler-Suchern wie Hans-Peter Uhl ist dennoch uneinholbar. Im Zweifel kann er „keine Ahnung“ sagen. Einmal. Zweimal. Öfter nicht. Sonst tappt er in
Die Ausreden-Falle
Keine Zeit für Visaprobleme? Bis zu einem gewissen Grad kann Fischer mit Verständnis rechnen, wenn er auf die große Weltpolitik verweist, die ihn beschäftigt hat („Sie wissen ja, was damals anstand, es war die Zeit nach dem 11. September …“). Kleiner Haken: Der Visa-Untersuchungszeitraum beginnt vor den Terroranschlägen und erstreckt sich auf drei volle Jahre. Zum Glück hat sein Büroleiter vorgemacht, wie’s geht. Als er im Ausschuss nach Fischers angeblicher Unkenntnis über Visavorgänge aus dem Frühjahr 2000 gefragt wurde, fielen ihm sofort einige schlüssige Gründe ein. Die Entführung der Familie Wallert, die Überschwemmungen in Mosambik, nicht zu vergessen der Absturz der Concorde. Genial. Alles wichtiger als Millionen Visa. So gesehen, ist der Ausredenvorrat fast unerschöpflich. Einweihung des Goethe-Instituts in Katmandu? Man sieht: Gefährlich ist eher die Variante: Fischer sagt zu viel.
Die Clinton-Falle
„I did not have sexual relations with that woman“ – auf so einen Satz Fischers, der sich früher oder später widerlegen lässt, hofft und wartet die Union heute. „Diesen Botschafter habe ich nie gesehen.“ Ein gemeinsames Foto – und Fischer war mal Vizekanzler. „Diese Warnung habe ich nie gehört.“ Ein Zeuge, der das Gegenteil weiß – und Fischer schaut alt aus. Also setzt die Union auf die Zermürbungstaktik. Worauf auch sonst? Die gröbsten der bekannten Visafehler (Reiseschutzversicherungen zeitweise als einziges Einreisedokument erlaubt und Probleme in Kiew ignoriert) hat Fischer längst schon eingestanden. Mehr als die „politische Verantwortung“ zu übernehmen, kann Fischer nicht, es sei denn, er tritt zurück. Die einzige Stärke der Unionsvertreter ist ihre Kondition – sie können sich abwechseln. Bis Fischer sich verhaspelt.
Die Fischer-Falle
Mein Gott, der ist ja so was von arrogant! Die vermeintlich größte Katastrophe, also ein schlechter Eindruck bei den Leuten, droht erst dann, wenn alles ideal für Fischer läuft. Wenn der Union nach acht Stunden noch kein Trick, nichts Kluges eingefallen ist und ihm partout nichts Dummes rausrutscht. Dann könnte es passieren, dass man das Fischer anmerkt. Vielleicht. So was soll schon vorgekommen sein. Ein mitleidiges Lächeln für Herrn von Klaeden. Ein giftiger Spruch für Uhl. Ein gelangweilter Blick zur Uhr. Irgendwann wird er nicht mehr den disziplinierten Geduldsengel spielen können. Das gefällt vielleicht den Unionsleuten im Ausschuss nicht. Aber der Öffentlichkeit. Man wird denken: Endlich. Er war ja nicht mehr auszuhalten, so gehemmt. Jetzt ist er wieder der Alte. Der Mann hat ein gutes Gewissen. Und da gehört bei Joschka Fischer Arroganz eben dazu.