: Menschenhändler mit der Not
Wenn im Bereich Milieukriminalität bei der Hamburger Polizei ermittelt wird, geht es um Menschenhandel und Zuhälterei. Unter falschen Versprechen und mit falschen Papieren werden Zwangsprostituierte in die Hansestadt geschleust. Das Problem der Polizei: Überhaupt an die Frauen heranzukommen
Von Marco Carini
Sie kamen in den Morgenstunden. Insgesamt 45 Hamburger Polizeibeamte durchsuchten Anfang vergangener Woche im Rahmen der Aktion „Black Beauty“ zahlreiche „Modellwohnungen“ im Hamburger Stadtteil Billstedt, sowie weitere Unterkünfte in Hamm, Rahlstedt und Hummelsbüttel. Die hier wohnhaften Tatverdächtigen, zwei Frauen aus Ghana sowie ein aus dem Iran stammender Mann, stehen im Verdacht, schweren Menschenhandel betrieben und sich der Zuhälterei sowie der Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz schuldig gemacht zu haben. Sie sollen jahrelang zahlreiche Afrikanerinnen unter falschen Versprechen und mit falschen Papieren illegal in die Hansestadt geschleust und anschließend zur Prostitution gezwungen haben.
Seit November hatten Staatsanwaltschaft und die Abteilung 73 des Hamburger Landeskriminalamtes intensiv gegen die Bande ermittelt. Eine Zwangsprostituierte hatte sich der Polizei offenbart und die Ermittler auf die Fährte der FrauenhändlerInnen geführt. Rund 15 bis 20 Ermittlungsverfahren dieser Größe führt die Hamburger Polizei Jahr für Jahr durch, erläutert Detlef Ubben, LKA-Chefermittler des Bereichs Milieukriminalität. Immer geht es dabei um Menschenhandel und Zuhälterei.
„Prostitution ist nicht verboten und wird von uns nicht bekämpft“, räumt der 52-Jährige mit einem weit verbreiteten Missverständnis auf. Doch wenn die Frauen illegal aus dem Ausland eingeschleust und hier gezwungen werden, ihren Körper zu verkaufen, greifen die Fahnder ein.
Nach Schätzungen der Polizei verkaufen in der Hansestadt, deren weltweit bekanntester Stadtteil noch immer St. Pauli ist, rund 2.400 Frauen sexuelle Dienstleistungen für Geld. Etwa 1.200 von ihnen besitzen keinen deutschen Pass, allein 1.000 stammen aus Osteuropa. Die Milieuermittler schätzen, dass wiederum etwa 60 Prozent der Osteuropäerinnen aus den neuen EU-Ländern stammen und sich damit als „Selbstständige“ legal prostituieren dürfen.
Die Rekrutierung der Prostituierten im Ausland und ihre anschließende Versklavung läuft, so Ubben, „meist nach demselben Muster“. 95 Prozent der Frauen kämen mehr oder weniger freiwillig nach Deutschland, um sich zu prostituieren. Sie werden in ihren Heimatländern in Diskotheken oder in der örtlichen Rotlichtszene angeworben und mit falschen Versprechungen über ihre Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten nach Hamburg gelockt. Seit der EU-Osterweiterung reisen immer mehr Frauen ganz legal ein. Prostituierte aus Nicht-EU-Ländern werden zumeist mit Hilfe von Touristenvisa oder gefälschten Papiere ins Land geschleust oder über die grüne Grenze nach Deutschland und schließlich an ihren Bestimmungsort gebracht.
„In diesem Stadium gibt es noch wenig Zwang“, weiß Ubben. Es sind imaginäre Schulden, die die Prostituierten in die Abhängigkeit von ihren Zuhältern treiben. „Den Frauen wird vorgegaukelt, dass durch ihre Einschleusung erhebliche Kosten entstanden sind, so dass sie erstmal mehrere Tausend Euro abzuarbeiten hätten“, beschreibt Ubben den Beginn des Teufelskreises. Mit hohen Kosten für die Nutzung der Modellwohnung, ,„Gebühren“ für die Vermittlung von Freiern oder auch so genannten „Strafgeldern“, wenn die Frauen angeblich nicht aggressiv genug potenzielle Freier ankobern, wird der Schuldenstand permanent auf hohem Niveau gehalten. Zudem nehmen die Zuhältern den Prostituierten meist die Pässe ab und lassen sich die „Schulden“ verzinsen – zu Sätzen, die mit banküblichen Konditionen rein gar nichts zu tun haben.
Spätestens wenn eine Frau sich irgendwann weigert, setzt schließlich massiver, mitunter auch gewalttätiger Druck ein. Doch obwohl die Ermittler wissen, dass Zwang und Ausbeutung die Szene regieren, dass keine einzige Hure auf St. Pauli ohne Zuhälter anschaffen geht, gelingt es ihnen nur schwer, die dunklen Machenschaften ins so genannte „Hellfeld“ zu ziehen. „Ohne die Aussagen einer betroffenen Frau haben wir im Strafverfahren in aller Regel keine Beweise gegen die Zuhälter und Menschenhändler“, klagt Ubben. „Wenn eine Frau behauptet, sie mache das alles freiwillig, sind wir mit unseren Möglichkeiten am Ende.“
Doch kaum eine Zwangsprostituierte offenbart sich aus freien Stücken der Polizei. „Unser größtes Problem besteht darin, an die Frauen heranzukommen“, weiß der Chefermittler. Dass sowieso „nur Frauen, die aussteigen wollen, bereit sind, vor der Polizei und vor Gericht Aussagen zu machen“, sei dabei ohnehin klar. Während es nach Einschätzung des Dienststellenleiters bei den deutschen Huren ein „Grundvertrauen“ zu den Beamten gäbe, deren Arbeitsbereich das Milieu ist, fehle dieses bei den ausländischen Prostituierten fast ganz. „Bei denen muss der Leidensdruck ganz enorm sein, damit sie sich an uns wenden“, berichtet Detlef Ubben aus der Praxis.
Der Ermittler weiß: „Erst wenn ich Kontakt zu einer Betroffenen habe, kann ich versuchen sie zu überzeugen, auszusagen.“ Um diesen herzustellen, gehen die Hamburger Kriminalbeamten seit einigen Monaten „ganz offensiv“ in die Modellwohnungsszene hinein. „Wir klingeln, stellen uns vor und suchen das Gespräch. Wir hoffen, dass die Frauen merken: Die sind ja ganz in Ordnung – wenn ich ein Problem habe, kann ich die mal anrufen“, beschreibt Ubben das Konzept. Erste Erfolge haben sich bereits eingestellt. So kann der Chefermittler darüber berichten, dass zwei polnische Frauen sich kurz nach einer polizeilichen Stipvisite an die Beamte gewandt und ihre Arbeitsbedingungen geschildert hätten. Die so entlarvten Zuhälter und Frauenhändler konnten daraufhin dingfest gemacht werden.
Doch viele Prostituierte werden von ihren Zuhältern angehalten, jeden Kontakt zur Polizei zu vermeiden. So bleiben die Türen oft verschlossen. Die EU-Osterweiterung macht es den Beamten zudem schwerer, sich auch gegen den Willen einer Frau in deren Steige umzusehen. War früher jeder Hinweis auf eine osteuropäische Nationalität immer auch ein Indiz für ausländerrechtliche Verstöße und damit Grund genug für einen Durchsuchungsbeschluss, winken die Richter heute bei einer derart dünnen Indizienlage nur müde lächelnd ab. Erklärt sich eine Frau doch einmal bereit auszupacken, kommt sie in ein polizeiliches Zeugenbetreuungsprogramm, das sie vor dem Zugriff ihrer Ausbeuter schützen soll.
In Kooperation mit der Koordinationsstelle gegen Frauenhandel (Koofra e.V.) werden die Frauen sicher untergebracht, ihnen Schritte aus dem Millieu aufgezeigt und individuelle Perspektiven gesucht. Eine muttersprachliche psychosoziale, aber auch eine ärztliche und rechtliche Betreuung gehören zum Standardprogramm. Ein Problem: Durch einen illegalen Aufenthalt ist die Frau für die Polizei nicht nur Opfer, sondern zugleich Beschuldigte. „Doch wenn eine Frau nachweislich zur Prostitution gezwungen wird, ist auch der illegale Aufenthaltsstatus erzwungen“, weist Ubben einen Weg aus der strafrechlichen Verfolgung. Schwierig ist es für die Ermittler, die Frauen zu überzeugen, bis zum Ende des Strafverfahrens in Deutschland zu bleiben, denn die meisten von ihnen wollen schnellstmöglichst zurück in ihre Heimat. Doch dort stehen ihre Nachfolgerinnen schon bereit. „Aufgrund der wirtschaftlichen Not in vielen osteuropäischen Ländern haben die Menschenhändler überhaupt keine Probleme, neue Prostituierte anzuwerben“, klagt Ubben.
Für Hamburger Freier, deren Lust auf „Frischfleisch“ sie die Not der Frauen ausblenden lässt.