: Onkel Adolf
Am Sonntag zeigte Sat.1 einen verknallten Führer – und dass Faschismus nicht als Melodrama taugt: „Die Nichte“
Sex sells, Hitler sells – beides müsste doch prima funktionieren. Das mag die Idee für den britischen TV-Film „Uncle Hitler“ gewesen sein – von Sat.1 zutreffend mit dem Kitschtitel „Die Nichte – Hitlers verbotene Geliebte“ versehen. „Ich habe nur einmal geliebt“, sagt Adolf Hitler (dargestellt von Ken Scott) gleich in der ersten Szene im April 1945 zu Eva Braun. Damit ist klar, worum es geht: die Geburt des Faschismus aus dem Geist des Melodramas.
1931 hat sich Hitlers Nichte Geli Raubal umgebracht. Warum sie dies tat, und ob die beiden eine sexuelle Beziehung hatten, weiß man nicht. Aber wahrscheinlich ist, dass Onkel Adolf sie mit Eifersucht und Vorschriften zur Verzweiflung getrieben hat. Sicher ist, dass Hitler ein obsessives, auch zerstörerisches Verhältnis zu ihr hatte.
Die beachtlichste Leistung von „Uncle Adolf“ ist, dass der Film es schafft, alle Gerüchte und Versionen über diese Beziehung aneinander zu reihen. Zuerst erscheint Hitler als Pädophiler, der das Mädchen liebt, nicht die junge Frau, dann als tyrannischer Onkel, dann als Liebhaber, dann als impotenter Neurotiker, am Ende als Perverser, der Pornobilder von seiner Nichte machte.
Einen Film über Hitler und seine Frauenopfer (Eva Braun hat zweimal versucht, sich umzubringen) zu machen, ist legitim. Zumindest dann,wenn dieser Versuch nicht als eine unzulässige Privatisierung des Faschismus endet. Genau das passiert hier: Weil Geli nicht wollte, musste Onkel Adolf schreckliche Hetzreden halten und am Ende doch leider die Welt vernichten.
Es ist auch selbstverständlich erlaubt, sich von den Fakten zu entfernen, so wie es jeweils Syberberg, Schlingensief, Sokurow oder Chaplin in ihren Hitler-Filmen getan haben. Aber es ist eine grässlich verschmockte Idee, Geli einen ausgerechnet jüdischen Liebhaber anzudichten, der von der SA erschlagen wird.
Furchtbar ist „Uncle Hitler“ nicht, weil er etwas erfindet, sondern weil man nie weiß, was er eigentlich will – außer, natürlich, wichtig daherzukommen: Hitler! Sex! Gewalt! Judenvernichtung!
Entsprechend spielt Ken Scott den Tyrannen mithilfe der gewohnten Stereotypen: als Knallcharge, als Wüterich, als dämonischen Redner und so weiter. Das alles ist bleiern uninspiriert inszeniert, mit Walzern zugekleistert und von jener typisch versteckten Lüsternheit, die alle „Sat.1 Film Film“-Melodramen auszeichnet, in denen geweint, geliebt und gestorben wird.
Das Fernsehen wird aus Anlass des 60. Jahrestages des Kriegsendes noch eine Menge Hitler zeigen. Das einzig Tröstliche an „Uncle Adolf“ ist, dass es noch schlimmer nicht mehr werden kann. Oder doch?
STEFAN REINECKE