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Archiv-Artikel

Schweigemarsch für den Bürgermeister

Rund 1,2 Millionen Menschen demonstrieren in Mexiko-Stadt gegen die Absetzung von Andres Manuel López Obrador. Der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat und Gegner von Staatschef Fox soll mit einem Strafverfahren kaltgestellt werden

AUS MEXIKO-STADTWOLF-DIETER VOGEL

Ein richtiger Schweigemarsch wurde es nicht, aber dennoch herrschte am vergangenen Sonntag in Mexiko-Stadt ungewöhnliche Ruhe. Das historische Zentrum war für den Autoverkehr gesperrt, während 1,2 Millionen Menschen mit einem „Marcha del Silencio“ gegen die Amtsenthebung des suspendierten Bürgermeisters Andres Manuel López Obrador demonstrierten.

300 Stadtteilgruppen, Gewerkschaften und der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) nahe stehende soziale Organisationen hatten zu dem Marsch aufgerufen. Entsprechend säumten gelbe Fahnen der PRD den zentralen Platz, wo López Obrador für sein „alternatives Projekt für die Nation“ warb und gegen „neoliberale, uneffektive und entmenschlichte Politik“ wetterte. „Du bist nicht allein“, hieß es auf Transparenten, und vom Präsidenten forderten die Demonstranten: „Vicente Fox, tritt zurück!“

Mit dieser Mobilisierung hat sich die Krise in Mexiko verschärft. Der 51-jährige „mexikanische Lula“ gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Präsidentenwahlen 2006. Doch Anfang des Monats entzog das Bundesparlament dem PRD-Mann die Immunität, um den Weg für ein Strafverfahren freizumachen. Grund: López Obrador hatte vor vier Jahren entgegen einer Gerichtsanordnung einen Zufahrtsweg weiterbauen lassen. Jetzt droht ihm sogar Haft.

Doch López Obrador will auch aus dem Gefängnis kämpfen. Für ihn ist klar: Hinter dem Verfahren steckt ein Komplott des Establishments, um seine Kandidatur zu verhindern. Sollte er verurteilt werden oder das Verfahren laufen, darf er nicht antreten.

In den letzten Tagen hat die Auseinandersetzung um die Amtsenthebung absurde Züge angenommen. Bislang hatten dessen Gegner alles daran gesetzt, den PRD-Politiker hinter Gitter zu bringen. Nun fürchtet man, dass López Obrador zum Märtyrer werden könnte. „Er will ins Gefängnis, weil er sich so weiter als Opfer darstellen kann“, erklärte der Generalstaatsanwalt Rafael Macedo de la Concha. Zwei Abgeordnete der konservativ-liberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN) zahlten gegen den Willen von López Obrador 2.000 Peso (etwa 130 Euro) Kaution, um eine Verhaftung zu verhindern. „Eine Niederträchtigkeit“, sagte der PRD-Politiker auf einer der zahlreichen Kundgebungen in der letzten Woche mit zigtausenden Anhängern.

Spätestens nach der Mobilisierung vom Sonntag hat López Obrador allen Grund, Stärke zu zeigen. Die Veranstalter sprachen von der größten politischen Demonstration in der Geschichte Mexikos – politischen Beobachtern zufolge für Fox die schwerste Schlappe seit seinem Amtsantritt 2001. Das lässt eine unkontrollierbare Entwicklung befürchten. Fox, die PAN und die Exstaatspartei der Institutionellen Revolution (PRI) hätten alles versucht, um López Obrador auszuschalten, erklärt der Soziologieprofessor der Autonomen Universität von Mexiko-Stadt, Sergio Zermeno. „Ein Rückschritt zu einer politischen Lösung ist kaum drin. Das kann zur Eskalation führen, zumal auch die sozialen Bewegungen nicht jede weitere Demütigung hinnehmen.“

Gestern nahm López Obrador seine Arbeit im Rathaus wieder auf – sein gutes Recht, solange das Verfahren in der Schwebe sei, meinen Juristen der PRD. Die Fox unterstehende Generalstaatsanwaltschaft spricht von einer „Amtsanmaßung“ und droht mit einem weiteren Strafverfahren.