: Aufmunterung für Depressive
Das „Berliner Bündnis gegen Depression“ will ab heute mit einer Aufklärungskampagne die Suizidrate deutlich senken. Vergleichbare Initiative in Nürnberg hatte vor zwei Jahren großen Erfolg
VON JULIANE GRINGER
Im Jahr 2003 nahmen sich 509 Berliner das Leben. Deutschlandweit sind es jedes Jahr 12.000 Menschen, die Suizid begehen, doppelt so viele wie im Straßenverkehr zu Tode kommen. Mit Plakaten, Vorträgen und Kinospots hätten es weniger sein können: Das „Bündnis gegen Depression“ in Nürnberg hat es jedenfalls geschafft, mit einer intensiven Aufklärungskampagne die Suizidraten in der Stadt deutlich zu senken.
Jetzt gründet sich auch in Berlin ein Ableger der Aktion, das „Berliner Bündnis gegen Depression“. Die Schirmherrschaft haben Rita Süssmuth und der türkische Generalkonsul Aydin Durusoy übernommen. Heute Abend stellt sich das Bündnis mit einer Auftaktveranstaltung in der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité vor (siehe Kasten).
Beim Modellprojekt in Nürnberg, wo schätzungsweise 25.000 Menschen an Depression leiden, waren die Erfolge messbar: Der Vergleich mit Würzburg als Bezugsraum, in dem keine Kampagne lief, zeigte, dass die Rate von Suiziden und Suizidversuchen von 2001 bis 2003 in Nürnberg deutlich gesunken war. Die Bevölkerung war in der Zeit durch das „Bündnis gegen Depression“ engmaschig mit Begleitmaterial versorgt worden. Plakate, Laienvorträge, Kinospots, Aktionstage und die Zusammenarbeit mit Polizei und Psychologen sensibilisierten die Nürnberger messbar für das Thema Depression.
Die Zahl der Suizide sank bereits nach dem ersten Kampagnenjahr um 25 Prozent, die der Suizidversuche ging im selben Zeitraum um 20 Prozent zurück – sicher auch, weil Beratungsstellen, Ärzte und Angehörige sozialer Berufe schneller auf die Krankheit Depression aufmerksam wurden. Die sei inzwischen zur Volkskrankheit Nummer eins in Deutschland geworden, sagt Meryam Schouler-Ocak, Leiterin des Berliner Bündnisses. „Und nur zehn Prozent der Betroffenen werden adäquat behandelt.“
In Berlin will das Bündnis auch Bewohner mit türkischem Migrationshintergrund ansprechen. „Aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes haben Migranten ein anderes Krankheitsverstehen, nehmen psychische Erkrankungen anders wahr, und die Stigmatisierung seelischer Erkrankungen ist unter ihnen noch ausgeprägter als im Rest der Bevölkerung“, so Schouler-Ocak. Gleichzeitig verursache ihre unsichere Lebenssituation ein größeres Risiko, an Depression zu erkranken.
Das Berliner Bündnis will daher Flyer in türkischer und deutscher Sprache verteilen. Plakate werden vorerst schwerpunktmäßig im Bezirk Mitte gehängt. Dort sitzt die Charité. Und türkische Migranten bilden die größte ethnische Minderheit.
Qualifizierungsseminare für Referenten wurden in Berlin schon durchgeführt. Nun sollen auch Hausärzte einbezogen werden. Zudem wird es Laienvorträge in Kulturzentren geben und die Leiter von Migrantenprojekten werden geschult. „Bis Mitte 2007 wird das Berliner Bündnis regelmäßig mit Aktivitäten sichtbar werden“, verspricht Meryam Schouler-Ocak. Ihre Initiative kooperiert mit der Polizei, Schulen, Seelsorgern sowie zahlreichen Einrichtungen wie dem sozialpsychiatrischen Dienst und dem Krisendienst oder der Türkischen Gemeinde. „Berlin hat ein gutes Netzwerk, das wollen wir nutzen“, sagt Schouler-Ocak.
Eine Kooperation besteht aber auch mit dem neuen europaweiten „Bündnis gegen Depression“, das im April dieses Jahres gestartet ist: Die EU-geförderte „European Alliance Against Depression“ (EAAD) plant Interventionsprogramme in 15 europäischen Ländern.