Schwitzen, bis die Schwarte schimmelt

Neues aus der Schweißforschung: In Malaysia gibt es ganz wundervolle menschliche Ausdünstungsformen

Beim Schreiben dieses Artikels war der schwitzende Autor nur mit einer Unterhose bekleidet

KUALA LUMPUR taz ■ Die Eskimos sollen angeblich zehntausend Namen für Schnee verwenden. Nun ja: Die alten Malaien haben circa zehn Millionen Namen für Schweiß. Das liegt daran, dass Malaysia nicht am Nordpol, sondern in den Tropen liegt, ganz nah am Äquator. Täglich schwanken die Temperaturen zwischen 24 und 34 Grad, bei einer Luftfeuchtigkeit zwischen 60 und 100 Prozent, und das zu jeder Jahreszeit. Das heißt: Man lebt wie in der Sauna. Und keiner macht die Tür auf. Nie. Davon konnte ich mich gestern Nacht selbst überzeugen, als ich hier in Kuala Lumpur vergeblich nach dem Bademeister schrie.

Die häufigste Schweißsorte ist der strömende Schweiß (malaiisch: peluh sungei). Er bricht schon nach fünf Minuten Bewegung aus (zum Beispiel nach hundert Meter Schlendern), in der Mittags- oder Abendhitze. Dieser Schweiß hinterlässt nicht bloß dunkle Flecken auf der Kleidung – die Kleidung wird zum Fleck. Langfristige Folgen sind weiße Ränder auf Hemd und Hose. Auch dafür haben die Malaien ein eigenes Wort: Batik.

Rucksackschwitzen (modern: City Bag Sweat) ist eine Abart des peluh sungei. Bezeichnet wird damit der strömende Schweiß, der sich unweigerlich beim Rucksacktragen auf dem Rücken bildet. Bestes Gegenmittel: den Sack nach einmal Tragen wegschmeißen.

Nachtschweiß (keringat malam) ist besonders unangenehm; man schwitzt hier selbst unter dem dünnsten Laken. Das Laken bewirkt auch, dass man verstärkt über die Kopfhaut transpiriert. Das Resultat am nächsten Morgen: ein waschlappennasses Kopfkissen und sandartige Salzkristalle auf der Stirn; genug, um das Frühstücksei zu versalzen.

Auch wenn ich diesen Artikel, verzeihen Sie bitte den intimen Einblick, nur mit einer Unterhose bekleidet schreibe, schwitze ich noch immer wie eine Sau (peluh babi). Der Schweiß sammelt sich dabei an der Lehne des Bürostuhls und bildet dort einen warmen Schmierfilm, der langsam in das Sitzpolster sickert. Das, so konnte ich beobachten, beginnt spätestens am zweiten Tag zu schimmeln. Steigt die Luftfeuchtigkeit am frühen Abend auf zunächst rund 85 Prozent – so wie jetzt –, gesellt sich zum Lehnstuhlschweiß das Solarplexusschwitzen (peluh mata hari). Dieses Schauspiel ist nett anzusehen, sprudelt dieser Schweiß doch wie ein kleiner Quell (siehe auch: überfallartiges Schwitzen; peluh rompakan).

Geschwitzt wird hier also immer, selbst beim trägen Fernsehkucken. Dabei verschweißt der Oberschenkel- und Arschschweiß meine Körperteile mit dem kleinen Kunstledersofa des Hotels. Trinkt man beim Fernsehen Bier, beginnt das Hautsekret bald sauer zu riechen; vorgestern Morgen vermischte sich der Geruch noch mit dem von Aspirin und Panadol. Überhaupt riecht der Schweiß hier oft nach dem, was man gerade konsumiert hat. Gut zu identifizieren ist heißer Chili-Schweiß, milder Chicken-Rice-Schweiß oder der süße Schweißgeruch nach dem Genuss von Fischkopf-Curry.

Selbst Angstschweiß ist den Malaien nicht fremd (bei Benachrichtigung über die bevorstehende Hinrichtung beziehungsweise den Besuch der Mutter), nur ist er sehr schwer von den anderen, überreich vorhandenen Sorten zu unterscheiden. Ein seltsames Phänomen bleibt allerdings ein überraschend kalter, Fischhaut provozierender Schweiß. Urplötzlich schlägt der Nachtschweiß in ihn um; dann nämlich, wenn man nicht einschlafen kann vor lauter Schwitzen. Also auch immer.

Hier in den Tropen schwitzt nicht nur der Mensch, sondern auch das Vieh, der Baum, sogar Gegenstände. Es schwitzt die Bierflasche, an Gläsern perlt der Schweiß, an Fischstäbchen, Fensterscheiben und Vasen. Doch das wäre schon ein anderes Kapitel. Auch das Kunstschwitzen ist so eins. Früher, so steht es in den malaiischen Annalen, sollen hier Kunstschwitzer aufgetreten sein, in großen Hallen, angefeuert von tausenden selbst schwitzenden Zuschwitzern. Kunstschwitzer waren Leute, die kontrolliert Körperpartien schwitzen lassen konnten – Nasen, Hände, Ohren – und mühelos von einer Form des Schwitzens zur anderen wechselten. Der berühmteste unter ihnen, der Hokkien-Chinese Ong Keng Swee, brachte es auf diese Weise zu einem großen Vermögen. Doch diese spezielle Kunstform ist heute leider ausgestorben, denn echtes Kampfschwitzen (keringat peperangan) ist unter jungen Malaysiern nicht mehr angesagt. Schuld daran trägt sicher der Siegeszug der Klimaanlage, die zwar das Schwitzen nicht völlig verhindern, doch extrem reduzieren kann.

Nur die alten Malaysier lassen auch heute noch die AirCon demonstrativ ausgeschaltet. Und schwitzen weiter wie die Doofen. Denn sie wissen genau: Schwitzen gehört nicht nur zu ihren Roots. Schweiß schweißt auch alle Malaysier zusammen. Und tatsächlich: Selbst ich fühle im Moment eine Verbundenheit mit … – ach, es ist doch nur der Schimmel auf dem Sesselpolster.

CHRISTIAN Y. SCHMIDT