: Große Trauer in Entenhausen
Die Kunsthistorikerin traf die berühmteste Ente der Welt 1951, sie prägten Generationen. Im Adenauer-Land mehr, als manchem Sittenwächter lieb war
VON HARRIET WOLFF
„Die Wolken ziehn dahin / Sie ziehn auch wieder her / Der Mensch lebt nur einmal / Und dann nicht mehr“ (Altes Entenhausener Liedgut, übersetzt von Erika Fuchs)
Elfriede Jelinek wünschte ihr schon seit langem den Büchnerpreis. „Zu viel der Ehre, Elfriede!“ – so oder so ähnlich hätte Erika Fuchs Donald Duck das Nobelpreisträgerinnen-Ansinnen kommentieren lassen. Gekriegt hat die erste Chefredakteurin der deutschen Micky Maus den Kulturpreis „Morenhovener Lupe“. Jetzt ist die Dame mit den flaschenglasdicken Brillengläsern in München gestorben, im gesegneten Alter von 98 Jahren.
Unzählige Entenhausen-Dramen hat sie mit mehr Hintersinn und lustiger ins Deutsche übersetzt, als es das amerikanische Original war. Wo Donald, „ein Niemand, der allernichtigste Niemand in ganz Entenhausen“ in der US-Version zu seinen nervenden Neffen etwa schlicht „No“ sagt, quäkt er im Deutschen ein bezeichnendes „Mitnichten“. Erika Fuchs, promovierte Kunsthistorikerin, sagte dazu: „Ich versuche die Personen sprachlich zu unterscheiden, als Vertreter einer bestimmten Schicht und Generation. Donald, der ja eigentlich keinen Erfolg im Leben hat, wetzt das aus, indem er poetisch wird.“ Onkel Dagobert dagegen spricht immer korrekt, autoritär und – wo nötig – auch noch in des echten Genitivs. „Ich habe sofort gemerkt, dass man das frei übersetzen muss“ – im Deutschen gebe es einfach mehr verräterische Sprachstile.
Fuchs’ charakteristisches Idiom – Linguisten nennen ihre „Stöhn, Seufz, Grummel“-Lautmalereien „Onomatopöien“ – prägt die Deutschen schon lange und nachhaltig. Sogar Alt-68er schlagen dank Dr. Fuchs’ liebevoller sprachlicher Vermittlung des „Underduck“-Milieus gern einen weiten Bogen von Karl Marx zu Carl Barks. Einmal entpuppt sich ein Panzerknacker als „Verbandsideologe“ und fordert „den Besitz der Produktionsmittel“ des Kapitalisten Dagobert Duck. Unvergessen auch der von Schillers Tell inspirierte Schwur von Tick, Trick und Track: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr.“
Und Daniel Düsentriebs „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör“, jener Urglaube des rührenden Tüftlers zu Entenhausen, verlässt auch Generationen deutscher Heimwerker nicht mehr.
Pate für Düsentriebs deutsche Geistesblitze stand Fuchs’ Ehemann Günter, ein Unternehmer und Erfinder. Mit ihm zieht die gebürtige Pommerin kurz vor Hitlers Machtergreifung nach Franken. Zuvor hatte sie 1925 als einziges Mädchen auf dem Knabengymnasium von Belgard an der Passante, dem heutigen polnischen Bialogard, das Abitur gemacht. Über ihr Verhalten in der Nazizeit sagt sie einmal treuherzig: „Ich war absolut kein Widerstandskämpfer, aber ich habe auch unter gar keinem Druck gestanden, wir hatten da Glück. So ein Erfinder ist ja immer ein etwas spinnerter Mann … Wir konnten tun, was wir wollten.“
Erst 1951, mit 44 Jahren, blättert Erika Fuchs zum ersten Mal in Comics. Sie übersetzt damals bei Reader’s Digest, wo das späterer Gründungsteam des Verlages Ehapa die deutsche Ausgabe von Micky Maus vorbereitet. „Die Herren sagten: Nehmen Sie das mal mit, in einem halben Jahr kommen die Leute von Disney, machen Sie eine Probeübersetzung, und dann sehen wir weiter. Ich war verblüfft. Die vielen Bilder auf einer Seite, dann die Sprechblasen. Also, ich sagte spontan, das geht hier nicht.“ Es geht dann doch im Adenauer-Deutschland, Erika Fuchs wird Chefin des anfänglichen Monatsmagazins (seit 1958 erscheint Micky Maus wöchentlich), und lange Zeit ist sie seine einzige Übersetzerin. „Am liebsten hätten die einen Professor ins Impressum gerückt, aber dann haben sie mit mir vorlieb genommen.“
Bei der letztlich erfolglosen Gesetzesvorlage gegen „Schmutz- und Schundcomics“ („Opium in der Kinderstube“ titelte der Spiegel) ist Micky Maus in den 50er-Jahren ausdrücklich ausgenommen. Trotzdem verbrennen damals noch einige Schulmeisterlein die Mäuse-Revue auf dem Schulhof aus Angst vor ihrer verderblichen Wirkung auf Sitten, Fantasie und Artikulationsvermögen ihrer Schutzbefohlenen. „Das hat mich überhaupt nicht betroffen, weil man einfach feststellen konnte, dass die Leute das nie gelesen haben“, erinnerte sich Erika Fuchs.
Wer Enten wie Donald so Schönes in den Schnabel legt wie „Guten Morgen, junge Frau! Sie sehen ja fabelhaft aus! Doch zur Sache! Ich bin Ihr Lieblingsvertreter in Weihnachtskarten!“, darf so kommentieren, denn er steht abgeklärt über den Welten. In Entenhausen gibt es kein Altern und keinen Tod.