: Nichts Zufälliges kann geschehen
VISUELL KUNSTFERTIG Ordnungsmuster, Abläufe, Details: In „Die Lage“ widmet sich Thomas Heise der Vorbereitung des Papst-Besuches 2011 in Erfurt (Forum)
Ein John-Ford-Himmel über Erfurt. Eine irreal ordentliche Landschaftsschönheit. Weite Felder reichen bis zum Horizont, die Ackerfurchen sind parallel gezogen. Eine Autobahn zerteilt penibel die Landschaft.
„Die Lage“ ist ein Schwarz-Weiß-Film. Der Verzicht auf Farbe macht, dass die geometrischen Bilder noch leerer, asketischer, kühler erscheinen. Im letzten Bild wird man spiegelglänzende, achsensymmetrische Rolltreppen sehen.
„Die Lage“ zeigt den Besuch von Papst Benedikt XVI. in Erfurt im September 2011. Vielmehr die Organisation, die akribische logistische Vorbereitung. Die übliche dunkle Limousinen-Flotte, Audi und BMW, kapert den Flughafen und übt korrektes Wegfahren. Ein roter Teppich wird ausgerollt. Pixi-Toiletten werden akkurat angeordnet. Das Ehrenspalier der Soldaten marschiert, links, zwei, drei, über das Flugfeld. Die Soldaten wirken wie aufgezogene Spielzeugpuppen, die immer mal wieder unvermutet am Bildrand auftauchen.
Thomas Heise filmt das Treiben oft aus der Distanz. Die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht übt auf dem Rollfeld, was zu tun ist, wenn der Papst kommt. Für den Fall, dass der Papst sich Bürgern zuwenden sollte, ist Ministerpräsidentin Lieberknecht gewappnet. „Ich halte mich zurück und stehe interessiert daneben“, sagt sie. Sie sagt es zweimal. Es muss sicher sein, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. Die Motorradfahrer der Eskorte studieren währenddessen ein, auf Befehl simultan die Motoren zu starten.
Ein Schaubild zeigt den Ablauf. Minutiös ist fixiert, wo die Kinder, die Blumen überreichen, stehen, wo Ministerpräsidentin Lieberknecht neun Minuten lang mit dem Papst reden wird, in welcher Lounge die 30 Bischöfe, die eingeflogen werden, sein werden. Jede Geste ist geplant, geübt, wiederholt. Mit strengem Ernst wird die Simulation des Papst-Besuches durchgeführt. „Die Lage“ entfaltet in einigen Szenen eine untergründige, leise Komik.
Später sieht man, aus der Entfernung gefilmt, das Ereignis selbst, das Papamobil, das in Erfurt auf einen zentralen Platz fährt. Die üblichen Bilder, Benedikt winkt, Massen jubeln. Alles funktioniert reibungslos, auch wenn das Ereignis selbst wie eine Kirmes wirkt, nichts mehr von den strengen Arrangements der Vorbereitung. Aus den Lautsprechern dröhnt das Ava Maria, Christian Wulff samt Entourage ist auch da. Bodyguards schauen unbeteiligt. Auf den Dächern liegen Scharfschützen und blicken durch ihre Visiere. Am Rande nesteln Männer des Malteser Hilfsdienstes lange umständlich an einer Absperrung, ehe sie einen Verletzten auf einer Bahre abtransportieren.
So kann man es erzählen. „Die Lage“ ist visuell kunstfertig und eine Art Laborversuch: Kann man die Struktur eines Ereignisses gänzlich von außen verfilmen? Was sieht man von einer Veranstaltung, wenn man den Blick völlig auf Oberflächen und Nebensachen richtet, ohne eigene Figuren zu etablieren? Ordnungsmuster, Abläufe, Details. Heise lenkt den Blick auf das Inoffizielle, ohne dies zur Komödie zu verdichten. Auch Kirchenkritik klingt an, erfreulich subtil. „Die Lage“ ist eine Fingerübung, mehr nicht. STEFAN REINECKE
■ 15. 2., 19 Uhr Delphi; 16. 2., 11 Uhr CineStar 8; 17. 2., 22 Uhr, CinemaxX; 18. 2., 18 Uhr Arsenal 1